Hält ein überregionaler Stromausfall länger als einen Tag an, sind auch die im Katastrophenfall besonders wichtigen Infrastrukturen betroffen: die medizinische Versorgung, die Behörden und ihre Katastrophenschutzeinheiten und die Grundversorgung mit Wasser und Lebensmitteln.
Chaos im Katastrophenschutz?
Das Hochwasser im Juli 2021 im Westen Deutschlands hat demonstriert, wie schwierig es für zuständige Behörden, Einsatzteams und Helfer sein kann, bei einem Zusammenbrechen vieler Kommunikationswege und der normalen Infrastruktur den Überblick zu behalten und sich zu koordinieren. Kein Wunder: „Die Behörden sind zur Gewinnung eines Lagebilds, bei der Verbreitung von Informationen, zur Organisation von Ressourcen sowie zur Alarmierung und Koordination von Einsatzkräften auf funktionierende Kommunikationsinfrastrukturen angewiesen“, erklärte der Ausschuss für Technikfolgen-Abschätzung 2011 in seinem Bericht.
Hinzu kommt, dass die Zuständigkeiten im Katastrophenfall nicht überall klar geregelt sind – Kommunen, Land und Bund müssen sich oft erst koordinieren. Bei einem großflächigen Blackout mit Millionen Betroffenen reichen zudem die logistischen und technischen Kapazitäten vor Ort meist nicht aus – auch im Ahrtal war dies so. „Eine besondere Herausforderung in einem Schadensfall wie einem überregionalen Stromausfall besteht darin, dass ortsfremde Einheiten oft über große Entfernungen herangeführt werden müssen“, so die Experten.
Gesundheitssystem nur in Teilen einsatzfähig
Zumindest die medizinische Versorgung wird im Falle eines großräumigen Stromausfalls nicht sofort komplett zusammenbrechen. Aber spätestens nach einem Tag kommt es auch hier zu erheblichen Ausfällen. So sind die Krankenhäuser und einige Alten- und Pflegeheime über Notstromaggregate für mindestens 24 Stunden versorgt, danach hängt es vom Treibstoff für die Generatoren ab, ob sie weiterlaufen können. Sofort betroffen sind dagegen Arztpraxen und die meisten Dialysezentren: Sie verfügen selten über eine Notstromversorgung und können daher kaum noch oder nur noch rudimentär arbeiten.
Hinzu kommt, dass der Ausfall der Telekommunikation auch die Rettungsdienste behindert: Wer schnell medizinische Hilfe braucht, kann nicht mehr den Notruf anrufen. Auch die Kommunikation und Koordination von Feuerwehr, Rettungsdiensten und den Krankenhäusern untereinander ist erschwert. Bei länger anhaltendem Stromausfall könnte zudem der Nachschub an einigen Medikamenten knapp werden, weil auch Apotheken und der pharmazeutische Großhandel betroffen sind.
Wasser und Lebensmittel knapp
In Teilen betroffen ist auch die Wasserversorgung, denn die unzähligen Pumpen und Ventile im System benötigen Strom. Zwar kann die Trinkwasserversorgung durch Notstromaggregate in den Wasserwerken noch einige Zeit mit vermindertem Druck aufrechterhalten werden, die Wassermenge und -qualität lassen aber nach. Hält der Stromausfall länger als ein paar Stunden bis Tage an, wird es auch hier kritisch: „Die Wasserinfrastruktursysteme sind auf Dauer ohne elektrische Energie nicht zu betreiben“, so der Ausschuss-Bericht. Betroffen davon sind auch viele städtische Feuerwehren, deren Löschwasser nun knapp wird.
Ähnliche Probleme bereitet die Lebensmittelversorgung: Schon in den ersten Stunden bis Tagen werden sich die Regale der Supermärkte leeren – Hamsterkäufe, Lieferprobleme und der Ausfall der digitalen Kommunikation erschweren den Nachschub. Hält der Blackout mehr als nur wenige Tage an, wird es kritisch: „Trotz größter Anstrengungen kann mit großer Wahrscheinlichkeit die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung mit Lebensmitteln nur ungenügend gewährleistet werden“, so das Fazit der Experten.
Gesellschaft: Zivilisierung „läuft rückwärts“
Ein Blackout geht auch an der Psyche und dem Verhalten der Menschen nicht spurlos vorüber: „Bricht die Stromversorgung zusammen, sind alltägliche Handlungen infrage gestellt und gewohnte Kommunikationswege größtenteils unbrauchbar“, beschreiben die Wissenschaftler das Problem. Viele Menschen reagieren darauf mit Verunsicherung, Aggressivität und irrationalem Verhalten – die dünne Schicht der zivilisierten Verhaltensnormen bröckelt. „Entgrenzungen brechen sich Bahn, Beispiele dafür sind etwa Gewalttätigkeiten, Alkoholkonsum, Sexualisierungen, Raubzüge, Zusammenrottungen, Bandenbildung“, so der Bericht.
Hat die Bevölkerung in dieser Situation das Gefühl, dass ihr nicht geholfen wird, droht die öffentliche Ordnung zusammenzubrechen. Um dem entgegenzusteuern, sind vor allem Informationen wichtig. „Es ist jedoch äußerst schwierig, ohne wie die selbstverständlich funktionierenden Kommunikationskanäle lokal, regional oder gar national Glaubwürdigkeit zu vermitteln und Vertrauen zu schaffen – also wichtigen Grundbedingungen der Krisenkommunikation gerecht zu werden“, konstatieren die Experten für Technikfolgen-Abschätzung.
„Nicht beherrschbar“
Klar scheint: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen länger anhaltenden, überregionalen Stromausfall sehr gering ist – die Folgen wären enorm. Ein solches Blackout gilt daher auch als Musterbeispiel für ein Ereignis mit kaskadierender Schadwirkung: Je länger es dauert, desto mehr Systeme und kritische Infrastrukturen sind betroffen. „Eine solche nationale Katastrohe wäre selbst durch eine Mobilisierung aller internen und externen Kräfte und Ressourcen nicht ‚beherrschbar‘, allenfalls zu mildern“, so das Fazit des Berichts.