Im Herzen der Milchstraße liegen einige der ältesten Sterne unserer Galaxie – so viel scheint inzwischen klar. Doch während viele dieser Methusalem-Sterne vor Ort entstanden sind und möglicherweise sogar aus den protogalaktischen Vorläufern der Milchstraße stammen, gilt dies nicht für alle: Ausgerechnet einige der innersten Sterne haben einen „Migrationshintergrund“.
Das Rätsel der Kernsternhaufen
Einen ersten Anhaltspunkt dafür lieferte die Entdeckung eines Kernsternhaufens im Herzen der Milchstraße – eines kompakten, dichten Sternhaufens ganz in der Nähe des zentralen Schwarzen Lochs. Solche „Nuclear Star Cluster“ (NSC) liegen bei Zwerggalaxien und anderen massearmen Galaxien dort, wo bei größeren Galaxien das supermassereiche Schwarze Loch liegt – sie bilden den zentralen Masseschwerpunkt. Lange war jedoch unklar, ob es solche Kernsternhaufen auch noch in massereicheren Galaxien mit zentralem Schwarzen Loch gibt.
Inzwischen legen Beobachtungen nahe, dass solcher Kernsternhaufen bei den massereichsten Galaxien oft fehlen. Doch die Milchstraße und auch die meisten anderen Spiralgalaxien scheinen sowohl ein zentrales schwarzes Loch als auch einen zentralen Kernsternhaufen zu besitzen. Aber warum? Um mehr darüber herauszufinden, haben Astronomen um Anja Feldmeier-Krause von der Europäischen Südsternwarte (ESO) vor einigen Jahren die Bewegungen und die Metallizität von rund 700 Sternen im innersten Zentrum unserer Heimatgalaxie untersucht. Die Sterne umkreisen das Schwarze Loch Sagittarius A* im Abstand von nur 1,3 bis 15 Lichtjahren – in der Region, in der der Kernsternhaufen liegt.
Stellare Abweichler
Mithilfe der spektralen Daten des Very Large Telescope der ESO in Chile konnten die Astronomen nachvollziehen, wie alt diese Sterne sind, aber auch, wie ihre Bahnen verlaufen und wie schnell sie sich bewegen. Dabei zeigte sich: In der Zone um das Schwarze Loch sind metallreichere und metallarme Sterne nicht gleichmäßig verteilt, sondern asymmetrisch: „Im galaktischen Norden ist der Anteil von Sternen mit geringerer Metallizität als die Sonne mehr als doppelt so hoch wie im Süden“, berichten die Astronomen. Im nördlichen Teil des galaktischen Zentrums sind demnach mehr ältere Sterne präsent als im Süden.
Und noch etwas ist auffällig: Ein Teil dieser älteren Sterne bewegt sich nahezu synchron, schneller als der Rest und zudem leicht gegenüber der galaktischen Ebene gekippt. Insgesamt machen diese Sterne rund sieben Prozent des Kernsternhaufens der Milchstraße aus. Die Astronomen schließen daraus, dass es sich hierbei um eine zuvor unbekannte Sternenpopulation handeln muss, die sich vom Rest der zentralen Sterne unterscheidet.
In den Kern gestürzt
Doch woher rühren diese Unterschiede? Und woher kommen diese Sterne? Um das herauszufinden, haben Feldmeier-Krause und ihre Kollegen die Entwicklung dieser Sternengruppe in einer Simulation rekonstruiert. Diese spielte verschiedene, in gängigen Theorien beschriebene Szenarien durch. So könnten die Sterne aus einem Kugelsternhaufen der Milchstraße stammen, der ursprünglich weiter außen lag und durch gravitationsbedingte Effekte ins Zentrum stürzte. „Möglicherweise ist die von uns neu entdeckte Population der Überrest eines solchen älteren Sternhaufens aus weiter außen liegenden Gebieten der Milchstraße“, sagt Manuel Arca Sedda von der Universität Heidelberg.
Denkbar wäre aber auch, dass die Kollision der Milchstraße mit einer benachbarten Zwerggalaxie dahintersteckt. Dann könnten die Sterne entweder aus dem Kernsternhaufen der vereinnahmten Zwerggalaxie stammen oder aber aus einem ihrer Kugelsternhaufen, der eingefangen und ins Milchstraßenzentrum gezogen wurde. Um dies zu klären, verglichen die Astronomen die Eigenschaftender neuentdeckten Sternpopulation mit denen von Kugelsternhaufen in der Milchstraße und in nahen Zwerggalaxien.
Das Ergebnis: Den Simulationen zufolge gelangten die „fremden“ Sterne erst vor rund drei bis fünf Milliarden Jahren in das Milchstraßenzentrum. Der Sternhaufen, in dem sie ursprünglich gebildet wurden, muss zu dieser Zeit in den inneren Bereich unserer Galaxie gezogen worden sein. Unter Einwirkung der enormen Gravitations- und Gezeitenkräfte im galaktischen Zentrum wurde der Sternhaufen dann zerrissen und die Sterne zerstreuten sich. Nur ihre ähnlichen Flugbahnen und Geschwindigkeiten verraten heute noch ihren gemeinsamen Ursprung.
Von außen oder von unseren Nachbarn?
Doch woher kam der Sternhaufen, aus dem diese Sterne stammen? Diese Frage lässt sich nicht ganz so eindeutig beantworten. Auf Basis ihrer Analysen haben die Astronomen ermittelt, dass die chemischen Merkmale der zentralen „Abweichler“-Sterne eher mit denen von Kugelsternhaufen aus der Milchstraße übereinstimmen. Der Simulation zufolge passen auch die Bahnen und Bewegungsparameter eher zum Szenario eines ins Zentrum gestürzten galaktischen Sternhaufens.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Einfall eines eher näher gelegenen Sternhaufens aus der Milchstraße wahrscheinlicher ist“, erklärt Koautorin Nadine Neumayer vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Dieser Sternhaufen müsste etwa 10.000 bis 16.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entstanden und dann in den Kernsternhaufen gestürzt sein. „Ein extragalaktischer Ursprung der Sterne kann zwar nicht komplett ausgeschlossen werden, ist aber eher unwahrscheinlich“, ergänzt Arca Sedda.
Erst der Anfang
Damit haben diese Studien mehr über das geheimnisvolle Herz unserer Heimatgalaxie ans Licht gebracht. Doch vieles bleibt noch immer ungeklärt und verborgen. Bei der Erforschung des galaktischen Zentrums und seiner Anfänge stehen die Astronomen erst ganz am Anfang. Sie hoffen aber, durch weitere Beobachtungen auch mithilfe neuer Teleskope bald mehr über die zentralen Sterne, Sternpopulationen und ihre Herkunft zu erfahren.
Möglicherweise lässt sich dann klären, woher die restlichen Sterne des Kernsternhaufens kommen, aber auch, aus welchen Proto-Galaxien die vor Ort gebildeten Methusalem-Sterne stammen. Denn es wäre durchaus denkbar, dass diese Uralt-Sterne noch heute Merkmale in sich tragen, die auf diese Vorläufergalaxien zurückgehen.