So fremdartig uns die Wesen der Ediacara-Fauna erscheinen: Es waren schon komplexe Tiere – und als solche mussten sie auch irgendwie Nahrung zu sich nehmen. Aber wie? Ohne Verdauungsorgane und Mundöffnung können diese Urzeitwesen weder Beute gejagt, noch größere Nahrungsbrocken verschlungen haben.
Osmose statt Beutefraß?
Dennoch schafften es diese immerhin bis zu zwei Meter großen Organismen irgendwie, genügend Nährstoffe aufzunehmen. Zumindest bei einigen Ediacara-Vertretern wie Dickinsonia vermuten Paläontologen, dass sie sich über Osmose ernährten – sie nahmen organische Moleküle direkt aus dem Meerwasser auf. Dabei absorbierte ihre Körperoberfläche diese Moleküle und von dort aus diffundierten sie in tiefere Gewebe.
Zu diesen osmotrophen Lebewesen gehörten damals vermutlich auch die Luftmatratzen-ähnlichen Erniettomorpha. Diese flachen, aus zylindrischen Einzelmodulen aufgebauten Organismen verbrachten ihr Leben wahrscheinlich halb im Meeresgrund eingegraben und nahmen dort organische Nährstoffe auf. Auch die farnartigen Rangeomorpha ernährten sich vermutlich über Osmose. Diese fraktal verzweigten, blattartigen Gebilde waren über einen langen, dünnen Stiel am Meeresgrund verankert.
Drei Arme mit Fortsätzen
Doch es gab auch schon andere Ernährungsstrategien, wie 550 Millionen Jahre alte Fossilien der Ediacara-Art Tribrachidium heraldicum nahelegen. „Dieser Organismus lebte im flachen Wasser und besaß eine dreiseitige Symmetrie, die bei heutigen Tierarten völlig unbekannt ist“, erklärt Imran Rahman von der University of Bristol. Tribrachidium ähnelte einer flachen Scheibe aus drei eingerollten Armen. Bei einigen Vertretern sind zudem Reste von Tentakeln oder ähnlichen Fortsätzen auf den Armrücken erhalten.
Diese Fortsätze weckten die Neugier von Rahman und seinem Team. Denn sie ähnelten auffallend den Fortsätzen, die noch heute viele filtrierende Kleinstorganismen besitzen. Könnte es sich auch bei Tribrachidium um einen frühen Filtrierer handeln? Wäre das der Fall, dann müssten diese Fortsätze das umströmende Wasser an bestimmten Körperteilen konzentrieren – erst das ermöglicht die Anreicherung von Nahrungspartikeln.
Ob das der Fall war, testeten die Forscher mithilfe einer Modellsimulation. Und tatsächlich: Die Armrücken und Tentakel von Tribrachidium lenken den Wasserstrom gezielt zu zwei Gruben seines tellerähnlichen Körpers, wie die Forscher berichten. Damit könnte dieses Urzeitwesen schon ein Filtrierer gewesen sein.
Urzeitliche Tafelrunde
Und nicht nur das: Die Tiere des Ediacarium-Meeres fraßen keineswegs isoliert vor sich hin. Stattdessen bildeten einige von ihnen wahrscheinlich schon Zweckgemeinschaften – eine Art urzeitlicher Tafelrunde. Wenn beispielsweise mehrere Filtrierer nahe beieinander lagen, ergaben sich Synergie-Effekte aus den von ihnen erzeugten Wasserströmungen, wie Simulationen zeigen.
„Sie verstärkten so den Einstrom von Nährstoffen von Individuum zu Individuum“, berichtet Brandt Gibson von der Vanderbilt University. Gleichzeitig konnten die Tiere so ihre Abfallstoffe effektiver mit der Strömung entsorgen. „Damit hatten sie eine richtig gute Dinnerparty: Sie konnten eine Menge essen und mussten nicht in ihrem eigenen Abfall sitzen bleiben“, so Gibson.
Das aber bedeutet, dass die Lebenswelt des Ediacarium deutlich komplexer war als lange angenommen. „Die Organismen des Ediacariums nutzten bereits verschiedene Nahrungsstrategien und spielten damit eine wichtige Rolle als Gestalter ihrer Ökosysteme“, konstatiert Gibsons Kollege Simon Darroch. „So fremdartig diese Lesewesen aussehen mögen – sie haben weit mehr mit den modernen Tieren gemeinsam als wir dachten.“