Die Geschichte der Milchstraße, reicht mehr als 13 Milliarden Jahre zurück – sie ist fast so alt wie unser Universum. Wann und wie unsere Heimatgalaxie entstand und welche Entwicklung sie durchlief, war lange unbekannt. Erst in den letzten Jahren ist es Astronomen gelungen, ihre Geschichte mithilfe großer Himmelsdurchmusterungen und durch Beobachtungen an jüngeren „Geschwistern“ der Milchstraße zu rekonstruieren.
Blick in die Vergangenheit
Das Vorgehen bei einer solchen astronomischen Rekonstruktion ähnelt der Art und Weise, wie Archäologen die Geschichte einer Stadt rekonstruieren würden: Für einige Gebäude sind die Entstehungsdaten bekannt. Bei anderen deuten der Baustil oder die verwendeten Baumaterialien darauf hin, wann sie entstanden sind. Nicht zuletzt sind räumliche Muster wichtig: In der Archäologie verraten die Grabungsschichten die Abfolge der Ereignisse, zudem gibt es in vielen Siedlungen einen alten zentralen Stadtkern, der von neueren Vierteln umgeben ist.
Bei Galaxien, und insbesondere bei unserer Heimatgalaxie, funktioniert die galaktische Archäologie nach ganz ähnlichen Prinzipien: Die Grundbausteine einer Galaxie sind ihre Sterne. Für eine kleine Untergruppe von Sternen können die Astronomen genau bestimmen, wie alt sie sind. Dies gilt zum Beispiel für die so genannten Unterriesen, eine kurze Phase der Sternentwicklung, in der man anhand der Helligkeit und Temperatur eines Sterns auf sein Alter schließen kann.
„Baumaterial“ verrät Entstehungszeit
Außerdem gibt es für fast alle Sterne Baumaterialien und einen „Baustil“, die ungefähre Rückschlüsse auf das Alter erlauben. Entscheidendes Merkmal dafür ist die sogenannte Metallizität eines Sterns. In der Astronomie sind Metalle alle Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium und die nicht schon mit dem Urknall gebildet wurden. Stattdessen wurden sie erst durch die Kernfusion im Inneren der ersten Sterne erschaffen und durch deren Explosionen ins All hinaus geschleudert. Dort reicherten sich diese Elemente an und wurden zum Rohmaterial für neue Sterne.
Das bedeutet: Hat ein Stern eine geringe Metallizität und besteht demnach fast nur aus Wasserstoff und Helium, muss er aus einer Gaswolke mit noch sehr ursprünglichem „Baustoff“ entstanden sein. Ein solcher Stern stammt wahrscheinlich aus einer sehr frühen Ära des Kosmos. Enthält ein Stern dagegen schon mehr schwerere Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen oder Magnesium, muss er einer späteren Sternengeneration angehören. Sein Rohmaterial enthielt schon die Fusionsprodukte älterer Sterne.
Konkret enthält beispielsweise unsere Sonne knapp 74 Massenprozent Wasserstoff, knapp 25 Prozent Helium und rund 1,3 Prozent „Metalle“ in Form schwererer Elemente. Von ihr wissen wir, dass sie vor gut 4,56 Milliarden Jahren entstand, daher gilt ihre Metallizität als Bezugswert für andere Sterne: Hat ein Stern einen geringeren Anteil schwerer Elemente, muss er älter sein als die Sonne, Hat er dagegen eine höhere Metallizität, ist er höchstwahrscheinlich jünger als sie.
Bewegung als Indikator für die Herkunft
Doch neben dem Alter eines Sterns ist auch wichtig, wo und unter welchen Umständen er einst gebildet wurde: Ist er an Ort und Stelle entstanden? Ist er durch galaktische Turbulenzen oder Strömungen verschoben worden? Oder stammt er womöglich gar nicht aus unserer eigenen Galaxie? Antworten auf diese Fragen kann die Bewegung der Sterne geben. Weichen sie beispielsweise in ihrer Bahn stark von der Rotation der großen Sternenscheibe der Milchstraße und den Bewegungen ihrer stellaren Nachbarn ab, kann dies ein Hinweis auf eine frühere Verlagerung oder sogar eine „fremde Herkunft“ sein.
Tatsächlich haben Astronomen in unserer Milchstraße schon jede Menge solcher „Abweichler“ aufgespürt. 2017 entdeckten sie eine ganze Reihe von Sternen, die rund 300.000 Lichtjahre von uns entfernt außerhalb der Spiralarme unserer Galaxie liegen. Ihre Bahnen deuten darauf hin, dass diese Sterne ursprünglich zu nahen Zwerggalaxien gehörten, dann aber von der Schwerkraft der Milchstraße eingefangen wurden. Auch Sternenströme und sogar ganze Zwerggalaxien hat sich unsere Galaxie im Laufe ihrer Geschichte einverleibt.
„Um die Entwicklungsgeschichte unserer Galaxie zu entwirren, müssen wir wissen, wie viele Sterne wann, aus welchem Material und in welchen Orbits geboren wurden“, erklären Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.