Unsere Galaxie ist alles andere als harmlos: Sie hat eine „kriminelle“ Vergangenheit. Immer wieder hat die Milchstraße ihren galaktischen Nachbarn Sterne, Gaswolken und sogar ganze Trabantengalaxien gestohlen.
Gas und Sterne
Erste Indizien für diese Diebstähle entdeckten Astronomen Anfang 2017, als sie die Bewegungen einiger Sterne im Außenbereich der Milchstraße kartierten. Elf dieser Sterne erwiesen sich dabei als Ausreißer, deren Tempo und Richtung nicht zu der der normalen Sternenpopulation passten. Der Grund: Diese Sterne stammen nicht aus der Milchstraße, sondern aus benachbarten Zwerggalaxien. Offenbar hat die größere Schwerkraft unserer Galaxie sie aus ihrer ursprünglichen Heimat herausgezogen.
Diese „einnehmende“ Art der Milchstraße geht jedoch weit über einzelne Sterne hinaus, wie Forscher seither ermittelt haben. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Milchstraße auch ganze Ströme aus Gas und Sternen von ihren Nachbarn übernommen. Zu dieser „Beute“ gehört unter anderem der „Leading Arm“ genannte Gasstrom, der ursprünglich zur Kleinen Magellanschen Wolke gehörte.
Galaxienklau unter Nachbarn
Sogar einige Zwerggalaxien der Milchstraße, darunter Fornax und Carina, haben sich als „eingemeindete“ Fremdlinge entpuppt. Astronomen vermuten, dass diese Trabanten unserer Heimatgalaxie ursprünglich im Halo der Großen Magellanschen Wolke kreisten, bevor die Milchstraße sie an sich zog. Dieser Galaxien-Diebstahl liegt wahrscheinlich weniger als eine Milliarde Jahre zurück, wie Forscher auf Basis astrophysikalischer Modelle ermittelten.
„Wenn so viele Zwerggalaxien erst kürzlich mit der Großen Magellanschen Wolke zu uns kamen, dann bedeutet dies auch, dass die Satellitenpopulation der Milchstraße noch vor einer Milliarde Jahren radikal anders aussah als heute“, erklärt Laura Sales von der University of California in Riverside.
Wir sind zur Hälfte extragalaktisch
Welches erstaunliche Ausmaß der intergalaktische Austausch von Sternen, Gasen und Galaxien erreichen kann, enthüllten Astronomen im Sommer 2017 mithilfe einer astrophysikalischen Simulation. Diese rekonstruierte die Prozesse, durch die Galaxien den gasförmigen Rohstoff für ihre Sternbildung erhalten. „Wir konnten so den Ursprung von Sternen zurückverfolgen und feststellen, ob sich der Stern aus Materie der Galaxie bildete oder ob er aus Gas aus einer anderen Galaxie entstand“, erklärt Daniel Angles-Alcazar von der Northwestern University.
Das überraschende Ergebnis: Unsere Milchstraße besteht etwa zur Hälfte aus extragalaktischem Material. Diese Atome stammen aus intergalaktischen Winden, die im Laufe von Millionen Jahren selbst die weiten Entfernungen zwischen Galaxien überbrücken können. „Damit bestehen auch wir zum großen Teil aus extragalaktischer Materie“, sagt Angles-Alcazar.