Eine mondlose Nacht auf dem Cerro Tololo in Chile. Hier, auf 2.200 Metern Höhe in der kargen Leere der Anden, hat gerade eines der ehrgeizigsten Projekte zur Erforschung der Dunklen Energie begonnen. Denn mit Hilfe einer Spezialsensors am Vier-Meter-Teleskop des Cerro Tololo Inter-American Observatory wollen Forscher in den nächsten fünf Jahren die Wirkung dieser geheimnisvollen Kraft genauer erforschen als je zuvor.
„Der Dark Energy Survey wird einige der wichtigsten Fragen unserer Existenz erkunden, erklärt James Siegrist, Leiter der Hochenergie-Forschungsprogramme des US Department of Energy. „In fünf Jahren sind wir dann hoffentlich viel näher an den Antworten und weit reicher in unserm Wissen über das Universum.“
Mit 570 Megapixeln in die Vergangenheit
Das wichtigste Hilfsmittel dabei: die Dark Energy Camera. Mit diesem extrem sensiblen 570 Megapixel-Bildsensor wollen die Forscher des Dark Energy Survey insgesamt ein Achtel des Nachthimmels abtasten und dabei das Licht von mehr als 100.000 Galaxienclustern, 300 Millionen Galaxien und 4.000 Supernovae analysieren. Dabei blicken sie nicht nur in große Entfernungen, sondern gleichzeitig auch zurück in die Zeit: „Wir werden bis rund acht Milliarden Jahre zurückschauen, in eine Zeit, in der das Universum viel jünger war“, erklärt David Gerdes von der University of Michigan, einer der am Dark Energy Survey beteiligten Forscher.
Aus der Art und Weise, wie sich die Größe und Form der Galaxiencluster verändert haben, wollen die Forscher Rückschlüsse ziehen über das Wechselspiel von Gravitation und Dunkler Energie: Hat zu einer Zeit die Dunkle Energie die Überhand, sollten sich die Galaxiencluster eher ausdehnen. Dominiert die Gravitation, ballen sie sich eher enger zusammen. Die Rate dieser Veränderungen verrät damit die relativen Stärken dieser beiden kosmischen Gegenspieler während der Geschichte des Universums.
Seltsame Abweichungen
„Wir können vielleicht erkennen, ob die Dunkle Energie sich eher wie Einsteins Kosmologische Konstante verhält oder wie etwas anderes“, so Gerdes. Denn sollte es sich tatsächlich um eine Grundeigenschaft des Raumes selbst handeln, wie es einige Kosmologen glauben, dann müsste sie an allen Stellen des Raums und zu allen Zeiten gleich stark sein. Sollte die Dunkle Energie der Kosmologischen Konstante entsprechen, dann müsste ihr Zustandsparameter ω, ein Wert der das Verhältnis von Druck und Dichte angibt, gängigen Berechnungen zufolge bei -1 liegen.
Drei bisherige Supernova-Surveys haben jedoch bereits abweichende Werte ermittelt. So kam das Pan-STARRS-Experiment im Herbst 2013 auf Basis von 150 vermessenen Supernovae auf ein ω von -1,186. „Wenn ω tatsächlich diesen Wert hat, dann bedeutet dies, dass das einfachste Modell, um die Dunkle Energie zu erklären, nicht stimmt“, sagt Pan-STARRS-Forscher Armin Rest vom Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore. Noch allerdings ist die Datenlage zu dünn, um dies definitiv sagen zu können, wie er und seine Kollegen betonen.
Dennoch sieht auch Nobelpreisträger Adam Riess, einer der drei Mitentdecker der beschleunigten Expansion, Anlass zur Nachdenklichkeit: „Es könnte sein, dass die Dunkle Energie weitaus interessanter ist als wir hoffen und vermuten.“ Denn entspricht sie nicht der Kosmologischen Konstante und damit einer Grundeigenschaft des Raumes selbst, dann eröffnet dies Möglichkeiten für deutlich exotischere Erklärungsmodelle.
Hatte Einstein doch unrecht?
Und selbst bisher vermeintlich Bekanntes könnte durch neue Erkenntnisse in Frage gestellt werden: „Unser Survey könnte auch entdecken, das die Gravitation gar nicht das ist, für das Einstein sie hielt – das wäre revolutionär“, sagt Gerdes‘ Kollege Gus Evrard. Möglicherweise werde es nötig, auch über die Kräfte neu nachzudenken, von denen man bisher glaubte, sie verstanden zu haben. Bisher haben alle Tests von Einsteins Relativitätstheorie diese allerdings bestätigt.
Klar ist aber schon jetzt: Auch der Dark Energy Survey ist nur ein kleiner erster Schritt auf dem langen Weg, das Geheimnis der Dunklen Energie zu lüften. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden viele Elementarteilchen entdeckt und es brauchte in Jahrhundert, bis wir sie verstanden haben“, konstatiert Gerdes‘ Kollege Greg Tarle. „Dunkle Energie ist wieder eine komplett neue Sache: Sie besteht nicht aus Teilchen. Sie verdünnt sich nicht mit der Expansion des Universums. Sie wirkt auf die Textur des leeren Raums. Ich glaube, dass es auch hier ein Jahrhundert dauern wird, bis wir sie vollständig verstanden haben.“
Nadja Podbregar
Stand: 02.05.2014