Phänomene

Gamification: Spielerisch forschen

Wissenschaftliche Probleme als Computerspiel

Wissenschaftliche Forschungsarbeit betreibt man in der Regel aus Interesse oder aus Überzeugung: Man ist neugierig auf Ergebnisse, oder man will Probleme lösen und anderen Menschen helfen. Erfolgserlebnisse stellen sich dabei allerdings oft nur langsam ein. Hinzu kommt, dass die wissenschaftlichen Hintergründe für Laien oft nur schwer begreiflich sind. All dies zusammen kann schnell dafür sorgen, dass die Begeisterung an einem Projekt schnell wieder nachlässt. Ab dem hundertsten Mars-Bild oder der tausendsten Teilchenspur sehen alle Daten gleich aus.

Die Betreiber einiger Citizen Science Projekte haben darum ihre Projekte einerseits vereinfacht, andererseits aufgepeppt: Sie appellieren an den Spieltrieb. Ein besonders erfolgreiches Musterbeispiel ist das Puzzle-Spiel „Foldit„. Das Thema des Spiels klingt zunächst nicht besonders aufregend: Proteinfaltung. Foldit präsentiert diesen komplizierten Prozess, der Proteinen ihre dreidimensionale Struktur gibt, als Puzzle. „Gamification“ nennen Wissenschaftler das Konzept, aus einem Problem ein Spiel zu machen.

Screenshot aus dem Protein-Puzzlespiel "Foldit": Die Spieler enträtselten die 15 Jahre lang unbekannte Struktur eines Virus-Proteins. © University of Washington

Menschen puzzlen, Computer berechnen

Es hört sich zunächst widersinnig an: Was sich im Computer nur mit großem Aufwand berechnen lässt, sollen Menschen in einem Computerspiel austüfteln. Doch es funktioniert, denn auch hier kommt die menschliche Fähigkeit zur Mustererkennung zum Tragen. Die Spieler können eine stilisierte Rohversion der Proteinstruktur nach Lust und Laune verbiegen und anpassen. Mögliche Lösungsansätze sind dabei mit ein wenig Übung schon schnell intuitiv zu erkennen – eine Intuition, die dem Computer fehlt.

Der Computer leistet mit seinen Stärken ebenfalls einen Beitrag: Er berechnet, wie stark sich einzelne Seitenketten des Proteins in der vom Spieler vorgeschlagenen Lösung in die Quere kommen, wie stark sie sich anziehen oder wie gut sie ineinander passen – schneller und besser, als ein Mensch es könnte. Je mehr Teile zusammen passen, desto größer ist die errechnete Punktzahl.

Wettstreit um Protein-Punkte

Sobald ein neues Puzzle veröffentlicht wird, entbrennt ein Wettbewerb um die höchstmögliche Punktzahl am jeweiligen Protein. Eine Rangliste zeigt dabei an, wer zurzeit die meisten Punkte und damit die wahrscheinlichste Struktur des Proteins ertüftelt hat. Die Masse der Spieler sorgt dabei dafür, dass kaum ein Lösungsweg außer Acht bleibt und nicht versucht wird.

Die Erfolge können sich sehen lassen: Ein Artikel im Fachmagazin „Nature“ bescheinigte den rund 57.000 Foldit-Spielern, dass die Qualität der gelieferten Ergebnisse mit der von Großrechnern mindestens gleichzieht oder sie übertrifft. Die fünfzehn Jahre lang unbekannte Struktur eines entscheidenden Enzyms aus einer Version des AIDS-Virus bei Affen enträtselten die Spieler in nur zehn Tagen.

„Unmöglich, dass ein Computer diese Arbeit übernimmt“

In derselben Weise verlassen sich auch die Wissenschaftler hinter „EyeWire“ auf menschliche Mithilfe bei einem komplizierten Problem: Sie wollen die Verbindungen der Nervenzellen im Gehirn kartieren. Doch das Kartieren einer einzelnen Zelle kostet bereits rund 50 Arbeitsstunden, und das Gehirn hat Milliarden davon. „Es ist unmöglich, dass ein Computer diese Arbeit übernimmt, also brauchen wir Hilfe“, sagt Projektleiter Sebastian Seung vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

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EyeWire ist ein Puzzlespiel, das an dreidimensionales Malen erinnert: Man verfolgt den Verlauf einer Nervenzelle durch einen virtuellen Würfel aus Hirngewebe mit einer Kantenlänge von gerademal viereinhalb Mikrometern. So lässt sich nach und nach aus Einzelbildern die dreidimensionale Form einzelner Zellen bestimmen, und wo sie sich berühren. Vergebene Punkte, erreichbare Levels, Wettkampf um die höchste Punktzahl und regelmäßige besondere Herausforederungen, sogenannte „Hunts“ spornen die Spieler zusätzlich an.

Diese als Spiel verpackte wissenschaftliche Arbeit hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen bleibt die Begeisterung der Spieler auf der Jagd nach der nächsten Highscore oder dem nächsten Level länger erhalten. Daher sind sie auch erfahrener und liefern schneller und zuverlässiger Ergebnisse. Die Wissenschaftler trainieren spielerisch ihre Helfer.

Als Spieler wiederum braucht man sich nicht ganz so schuldig fühlen, als wenn man mehrere Stunden an einem einfachen Browserspiel verdaddelt hat – schließlich dient der Spaß am Spiel auch der Wissenschaft. Ähnliche wissenschaftliche Spiele sind das RNA-Puzzle „EteRNA“ oder der Baukasten „Nanocrafter„, in dem man hilft, Nanomaschinen aus DNA-Bausteinen zu basteln.

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Ansgar Kretschmer
Stand: 16.10.2015

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Inhalt des Dossiers

Citizen Science
Wissenschaft für alle

Warum Citizen Science?
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Nicht auswerten, selber machen
Bürgerwissenschaftler sammeln eigene Daten

Gamification: Spielerisch forschen
Wissenschaftliche Probleme als Computerspiel

Kickstart für wissenschaftliche Massenarbeit
Kleine Einzelbeiträge helfen dem großen Ganzen

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