Groß, von drei Seiten von Fels eingerahmt und nach unten durch einen Damm aus Gesteinsschutt oder Eis abgesperrt: so oder so ähnlich sieht ein typischer Gletschersee aus – meint man zumindest. Doch es gibt durchaus größere Schmelzwasseransammlungen, die von diesem Klischee deutlich abweichen und trotzdem genauso gefährlich sind.
11. Juli 1892. Ein heißer Tag neigt sich dem Ende zu und im Städtchen St. Gervais am Fuß des Tete-Rousse-Gletschers vom Mont Blanc ist es längst dunkel geworden. Vor allem in den nahe gelegenen Thermalbädern ist jedoch noch einiges los. 300 Menschen befinden sich hier – Kurgäste, Bademeister, Köche und Dienstmädchen. Ein Klavierspieler gibt ein Konzert, um die zahlungskräftigen Kurgäste zu unterhalten.
In Bruchteilen von Sekunden verändert sich jedoch die Situation radikal. Ohne jede Vorwarnung wird aus der entspannten Abendunterhaltung ein Inferno. Mit gewaltigem Getöse bricht eine Wand aus Wasser, Schlamm und Gestein über die Therme und große Teile des übrigen Tales herein. Die Flutwelle reißt Häuser, Bäume und Menschen mit sich und schleppt sie flussabwärts Richtung Genfer See. Insgesamt sorgt die Flutwelle für Sachschäden in Millionenhöhe und 200 Menschen kommen bei der Katastrophe um.
Eilig herbeigerufene Wissenschaftler finden schon bald eine Erklärung für die Flutwelle. Danach hat ein riesiger See vermutlich lange Zeit unentdeckt tief im Inneren des Gletschers geschlummert. Am 11. Juli 1892 war der Wasserdruck dann offenbar so groß, dass die obere Eisschicht weggesprengt wurde und die Katastrophe ihren Lauf nahm.