Drachenblut-Harz, gemahlener Bernstein oder exotische Wurzeln: Die Zutaten für viele der alchemistischen Rezepte gleichen eher denen eines Hexengebräus als wissenschaftlich-chemischen Ingredienzen. Doch das täuscht. Denn hinter der blumigen, verschleiernden Sprache stecken durchaus nützliche und funktionierende Anleitungen – man muss sie nur zu entschlüsseln wissen.
Drachenblut und kalter Höhlendrache
Das allerdings ist alles andere als einfach, weil die Alchemisten ihre Rezepte absichtlich so formulierten, dass sie nur von Eingeweihten verstanden wurden. Häufig nutzten sie bewusst Begriffe aus der Mythologie und Sagenwelt. Was ist beispielsweise mit „Drachenblut“ gemeint? Und was mit dem „Entzünden eines schwarzen Drachen“? Und was verbirgt sich hinter einem „kalten Drachen, der in Höhlen umherkriecht“?
So mythisch das klingt, so prosaisch sind die Ingredienzen und Methoden, die sich hinter diesen Umschreibungen verbergen – wenn man sie denn zu interpretieren weiß: Mit Drachenblut war schlicht Quecksilbersulfid gemeint, den schwarzen Drachen entzündete man, wenn man fein gemahlenes Blei anzündete und der kalte Höhlendrache entpuppt sich bei näherer Analyse als Kaliumnitrat, eine Variante des Salpeters. Sie kommt an den Wänden bestimmter Höhlen vor und schmeckt auf der Zunge kühl – daher ein kalter Drache.
Verschluckte Sonne und spritzendes Silber
Aber mit den Zutaten allein ist es noch nicht getan, man muss auch wissen, was man mit ihnen anstellen soll. Dummerweise haben die Alchemisten auch das stark verklausuliert. Da ist beispielsweise von Drachen die Rede, die Mond und Sonne vertilgen, wenn das Lösen von Gold und Silber in Säuren gemeint ist. Andere Beschreibungen brechen mitten im Satz ab und werden als Illustration fortgesetzt oder die entscheidenden Anweisungen verbergen sich in den an den Rand des Manuskripts gekritzelten Anmerkungen.
Das kann zu unerwarteten Effekten führen, wie Studenten und Wissenschaftler an der Columbia University in New York unlängst feststellten. Im Rahmen des „Making & Knowing“-Projekts versuchen sie, die Rezepte aus einem französischen Alchemie-Manuskript aus dem 16. Jahrhundert zu entschlüsseln und umzusetzen. In einem davon wird beschrieben, wie man ein Silberschmuckstück mit Hilfe einer Sandform gießt.
„Wir waren so aufgeregt, endlich das Silber gießen zu können, doch dann explodierte es plötzlich geradezu“, erinnert sich Joel Klein. Das Silber spritzte auf dem Labortisch umher, statt geordnet in die Form zu fließen. Wie sich herausstellte, hatten die modernen Nachahmer einen entscheidenden Hinweis im Manuskript des Alchemisten übersehen: Der Sand der Gießform muss völlig trocken sein, was im missglückten Versuch jedoch nicht der Fall war. Als die Restfeuchte des Sandes mit dem heißen Metall in Kontakt kam, verdampfte das Wasser schlagartig und löste das Spritzen aus.
Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016