Vogelwanderungen haben die Menschen von jeher fasziniert und schon zu Deutungen über deren Zweck und Ziel veranlasst, noch ehe überhaupt klare Vorstellungen über die Kontinente existierten. Sichtbare Vogelwanderungen wurden als Hinweise auf den Willen der Götter oder zumindest als Boten für den Wintereinbruch oder das Frühjahr gedeutet. Im antiken Griechenland erklärte man das herbstliche Verschwinden der Schwalben noch damit, dass diese sich im Herbst im Schlamm der Gewässer eingraben und beim Kuckuck vermutete man, dass er sich im Herbst in einen Sperber verwandelt.
Zugleich gab es aber auch schon erste Vorstellungen davon, dass Vögel auch weite Wanderungen vollbringen und erste Versuche einer individuellen Markierung von Vögeln sind aus dieser Zeit belegt. Vor allem Taubenzüchter waren es, die mittels kleiner Bändchen oder Metallstreifen versucht haben, mehr Informationen über das Verhalten Ihrer Vögel zu erhalten.
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115 Millionen Vögel mit Ring
Die individuelle Markierung von Vögeln zählt auch heute – neben neueren Ansätzen – zum unverzichtbaren Handwerkszeug in der Ornithologie, wenn es um die Verfolgung von Individuen durch Raum und Zeit geht. Für die verschiedensten Fragestellungen wurden im 20. Jahrhundert in Europa schätzungsweise 115 Millionen Vögel mit kleinen Kennzeichnungsringen markiert, die von so genannten Vogelberingungszentralen mit einer Kurzadresse und einem einmaligen Buchstaben- und Zahlencode versehen ausgegeben werden.
Eine dieser Beringungszentralen befindet sich an der Vogelwarte Radolfzell, die Teil des Max-Planck-Instituts für Ornithologie ist und die eine ganz besondere Verbindung zu dieser wissenschaftlichen Methode hat: Ihr Gründer, Johannes Thienemann, hat ab 1901 nach ersten Erfolgen des dänischen Lehrers Hans Christian C. Mortensen weltweit erstmals in großem Stil die Markierung von Vögeln durch Beringung vom damaligen Institutsstandort im ostpreußischen Rossitten aus eingeführt.
Heute werden an der Vogelwarte Radolfzell zur Aufklärung von Wanderbewegungen längst nicht mehr nur die Vogelringe, sondern auch vom Boden oder vom Weltraum aus verfolgbare Peilsender und Datenlogger sowie genetische Analysen und Analysen stabiler Isotope in Körpergeweben verwendet. Hinsichtlich der Kosten und der Verfügbarkeit großer Datenmengen kommt der Beringung aber nach wie vor eine methodische Schlüsselfunktion zu, wie im Folgenden einige Beispiele zeigen sollen.
Beringen als Hobby
Ein Großteil der Studien, in deren Rahmen Vögel individuell markiert werden, wird durch Ehrenamtliche getragen. Über 8.000 solcher qualifizierter „Beringer“ sind in Europa aktiv, etwa jeder zehnte davon in Deutschland. Gerade bei Untersuchungen, die langjährige Datenreihen erfordern, wie beispielsweise Verhaltens- oder Bestandsänderungen, liefern Ehrenamtliche einen Datensatz, dessen Beschaffung anders nicht zu finanzieren wäre.
In kaum einem anderen Forschungsbereich arbeiten heute Amateure und Profis so vielfältig und so eng zusammen wie in der Ornithologie. Dabei erledigen die Amateure längst nicht nur die einfache Feldarbeit. Viele von ihnen sind dank jahrzehntelanger Beschäftigung mit ihren Studienobjekten herausragende Kenner der Biologie ihrer Studienarten und verfügen zugleich über beste Kenntnisse zu deren Fang. Gerade Letzteres ist bei vielen Arten keineswegs trivial und spielt selbst dann noch eine Rolle, wenn zu Verfahren der individuellen Verfolgung wie etwa zu Satelliten-Peilsendern oder zur genetischen Bestimmung der Populationszugehörigkeit gegriffen werden soll, denn auch dann muss man den Vogel zunächst einmal in den Händen halten.
Aus dem Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft; Wolfgang Fiedler/ Max-Planck-Institut für Ornithologie; Vogelwarte Radolfzell
Stand: 09.01.2009