Wer an Olympia teilnimmt, gehört zu besten seiner sportlichen Disziplin. Schon lange vor Beginn der Spiele hat er oder sie zahlreiche Wettkämpfe absolviert und sich gegen Dutzende andere Sportler durchgesetzt. Was aber prädestiniert einen Sportler zum Ausnahmeathleten? Sicher gehören Fleiß, Ausdauer und unermüdliches Training dazu. Aber das letzte Quäntchen Leistungsfähigkeit ist wohl doch eher Veranlagung – einige scheinen eben einfach zum Läufer oder Hochspringer geboren.
„Es gibt wachsende Hinweise darauf, dass Weltklasse-Athleten einen bestimmten Mindestsatz an leistungssteigernden Genen in sich tragen“, erklären Juan Enriquez und Steve Gulans dazu in einem Kommentar im Fachmagazin „Nature“. Bisher seien mindestens 200 Genvarianten bekannt, die bei Athleten häufiger vorkämen als beim Bevölkerungsdurchschnitt. So trägt jeder bisher getestete männliche Olympia-Sprinter und Kraftsportler das sogenannte 577R-Allel in seinem Erbgut. Diese Genvariante gilt als „Kraft-Gen“, das bei etwa der Hälfte aller Eurasier und 85 Prozent aller Afrikaner vorkommt. „Die Milliarden Menschen, denen dieses Gen fehlt, sollten daher vielleicht ihre Olympia-Ziele überdenken“, so Enriquez und Gulans.
Sherpa-Gen hilft Ausdauersportlern
Eine weitere leistungssteigernde Genvariante ist die sogenannte I-Variante des ACE-Gens. Träger dieses Gen besitzen eine höhere Ausdauer und können beispielsweise deutlich problemloser einen 8.000-er besteigen als ihre „normalen“ Artgenossen. Es ist daher nur folgerichtig, dass 94 Prozent der Sherpas im Himalaya dieses Gen in sich tragen, im Rest der Welt sind es nur zwischen 45 und 70 Prozent. Aber auch unter Leistungssportlern häuft sich dieses Ausdauergen: Forscher haben festgestellt, dass es bei Läufern der langen Distanzen überdurchschnittlich häufig vertreten ist.
Einen Extremfall im Hinblick auf genetische Vorteile stellte vielleicht der in den 1960 und 70er Jahren erfolgreiche finnische Skilangläufer Eerto Mäntyranta dar: Er trägt eine Mutation im Erythropoetin-Gen, durch die er besonders viele rote Blutkörperchen produziert. Sein Blut kann damit von Natur aus 25 bis 50 Prozent mehr Sauerstoff zu den Muskeln transportieren. Heute würde er damit bei einem Dopingtest prompt auffallen und müsste vermutlich nachweisen, dass dieser Effekt bei ihm natürlich ist.
„Zukünftige olympische Spiele werden sich noch mehr mit Fragen der Genetik auseinandersetzen müssen“, erklären Enriquez und Gulans. Denn schon jetzt gibt es die Befürchtung, dass Athleten damit beginnen, ihre Leistung künstlich mit Genen aufzurüsten. Und was ist mit Sportlern, die zum Beispiel als Kinder eine Gentherapie gegen einen Defekt erhalten haben und quasi als Nebenwirkung dadurch leistungsfähiger werden als normal? Sollen diese dann zukünftig disqualifiziert werden? Oder bekommen sie dann ein Handicap, damit auch genetisch Benachteiligte gegen sie eine Chance haben? Und ist der Wettkampf noch gerecht, wenn einige Athleten durch ihr besseres Erbgut Vorteile haben?
Nadja Podbregar
Stand: 26.07.2012