Anthropogeographie

Geniale Ingenieure

Ein raffiniertes Bewässerungssystem

Bei 16 Millimeter Jahresniederschlag und von Weinranken überschatteten Wegen fragt man sich in Turfan irgendwann: Woher kommt das Wasser? Wenn man nicht so genau hinsieht, kann man für bronzezeitliche Grabhügel halten, was in Wirklichkeit der Eingang zu einem „Karez“ ist. Vor allem auf dem 54.000 Quadratmeter großen Gräberfeld von Yanghai, von dem viele der archäologischen Funde stammen, ist die Gefahr der Verwechslung groß, wenngleich die Karez-Eingänge im Unterschied zu den Grabhügeln wie an einer Schnur aufgereiht liegen.

Überall sind die Spuren des alten Bewässerungssystems zu sehen. Doch niemand weiß genau, wie alt diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind © DAI Peking

Bewässerung quer durch den Friedhof

Zugang zu lebensnotwendigem Wasser auf dem Friedhof? Doch was so befremdlich klingt, ist weder ein Zufall noch ein Versehen. Das alte Bewässerungssystem ist mehr als intelligent. „Man sieht die Spuren des alten Bewässerungssystems überall“, berichtet Mayke Wagner. „Doch auch dessen Anfänge liegen im Dunkeln wie das Alter der Stadt – niemand weiß genau, wie alt diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind.“

Das Bewässerungssystem von Turfan ist ein unterirdisches Brunnensystem mit waagerecht in den Berg gegrabenen Schächten bzw. horizontalen Brunnen. Dadurch kann man das tiefe Grundwasser, das aus dem geschmolzenen Schnee des Tian Shan-Gebirges stammt, ableiten und in unterirdischen Kanälen, geschützt vor Verdunstung, in die Oase leiten. Rund 1000 Karez gibt es im Turfan-Becken. Ein Brunnen kann bis zu 70 Meter tief und ein unter irdischer Kanal rund 10 Kilometer lang sein. Insgesamt sind die Kanäle von Turfan vielleicht mehrere tausend Kilometer lang, niemand hat sie bislang ausgemessen.

Der Großteil der Bewässung erfolgte unterirdisch - dadurch verdunstete weniger Wasser. Hier eine Rekonstruktion im Museum von Turfan. © Colegota/ CC-by-sa 2.5 es

Vorbild für heutige Systeme

„Als die antiken Ingenieure das Bewässerungssystem bis in ein viel älteres Gräberfeld erweiterten, fällten sie eine durchaus informierte und durchdachte Entscheidung“, meint Wagner. Denn sie kannten die geologischen Gegebenheiten des Untergrunds – das Gräberfeld liegt auf einem Schwemmfächer –, wussten, welche Wege das Wasser nahm und dass es weit unter den Gräbern durchfließt. Sie hatten ein Problem zu lösen, und das taten sie.

Das unterirische Bewässerungssystem von Turfan könnte sogar dazu beitragen, Probleme der heutigen Zeit zu lösen. Denn die moderne Methode der Pumpbewässerung führte zur Versalzung und Verkarstung des Bodens. So reaktiviert man die alten Systeme, weil man erkennt, dass es ein der Landschaft und ihren natürlichen Gegebenheiten hoch angepasstes effizientes Bewässerungssystem ist.

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Archäologie weltweit/ DAI
Stand: 24.10.2014

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Tor zu anderen Welten
Archäologen erforschen unbekannte Gesellschaften an der Seidenstraße

Trauben am Pol der Unzugänglichkeit
Über die Seidenstraße nach Turfan

Oase mit perfektem Klima
Warum Archäologen in der Wüstenstadt Turfan graben

Beinprothese und Prachtgewand
Einblick in den Alltag der Oasenbewohner

Geniale Ingenieure
Ein raffiniertes Bewässerungssystem

Zwischen Archäologie und Tourismus
Wie klappt die Kooperation?

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