Zoologie

Gepanzert, zahnlos und mit Adleraugen

Typische körperliche Merkmale von Schildkröten

Ob Riesenschildkröten, Wüstenschildkröten oder Lederschildkröten: Sie alle sind hauptsächlich für ihren schützenden Panzer bekannt, weisen aber noch weitere Körpermerkmale auf, die ihnen ihr Überleben sichern.

Meeresschildkröte
Meeresschildkröten können mit ihrem stromlinienförmigen Panzer beachtliche Geschwindigkeiten erreichen. © Ali Bayless/ NOAA/NMFS/PIFSC

Panzer mit Vorteilen

Der Panzer der heutigen Schildkrötenarten verbindet den Rücken und den Bauch der Tiere als starre Platten miteinander. So bietet er den Landschildkröten (Testudinidae) Regenschutz und vor allem sicheren Schutz vor Fressfeinden, da nicht nur ihre Organe und der größte Teil des Körpers dauerhaft unter dem Panzer versteckt sind, sondern sie auch ihren Kopf bei Gefahr schützen können.

Man unterscheidet bei Schildkröten zwischen Halslegern (Pleurodira), die ihren Kopf zur Seite legen, wenn sie ihn einziehen, und Halsbergern (Cryptodira), die ihren Kopf direkt einziehen. Eine Ausnahme dabei ist die Großkopfschildkröte (Platysternon megacephalum): Ihr Kopf ist so groß, dass sie ihn zum Schutz nicht einziehen kann – für sie ist daher Angriff die beste Verteidigung.

Aufs Wasserleben spezialisiert

Bei Wasserschildkröten (Cheloniidae) spielt der Panzer auch bei der Feindesabwehr eine Rolle, hat aber noch eine weitere entscheidende Bedeutung: Ihr Panzer ist flacher und stromlinienförmiger als der der Landschildkröten und ihre Füße sind zusätzlich meist flossenartig geformt oder es befinden sich Schwimmhäute zwischen den Krallen, wie zum Beispiel bei den in Mitteleuropa vorkommenden Sumpfschildkröten (Emys orbicularis). Zusätzlich ist ihr Panzer von zahlreichen Hohlräumen durchzogen. Der schwammartige Aufbau verleiht ihnen Auftrieb.

Diese körperlichen Anpassungen ermöglichen es den Wasserschildkröten, beachtliche Geschwindigkeiten beim Schwimmen zu erreichen. Die schnellste lebenden Schildkröte ist die Lederschildkröte (Dermochelys coriacea): Sie kann bis zu 35 Kilometer pro Stunde zurücklegen.

Stupendemys geographicus
Stupendemys geographicus ist die größte bekannte Süßwasserschildkröte der Erdgeschichte. Seine Hörner auf dem Panzer dienten ihm wahrscheinlich zur Feindabwehr. © Ryan Somma / CC-by-sa 2.0

Ausnahmefall Hörner-Panzer

Bei einer älteren riesigen, aber mittlerweile ausgestorbenen Schildkröte kam noch ein weiterer Nutzen des Panzers dazu: Paläontologen um Edwin Alberto Cadena von der Universität del Rosario in Bogota haben bei Ausgrabungen von Fossilien der riesenhaften Meeresschildkrötenart in Venezuela entdeckt, dass die Männchen große Hörner an ihrer Panzer-Vorderseite trugen.

„Die Ausrichtung der Hörner spricht dafür, dass sie nicht nur zum Schutz dienten, sondern auch für den Kampf“, erklären die Forscher. Die als Stupendemys bezeichnete Art könnte die Hörner etwa in Rivalenkämpfen eingesetzt haben, um die Gegner auszuhebeln und auf den Rücken zu drehen. Ein ähnliches Verhalten gibt es auch bei einigen heute lebenden Schildkrötenarten ohne Hörner.

Ideale Orientierung im Lebensraum

Neben dem Panzer bieten auch ihre Sinne den Schildkröten wichtige Überlebensvorteile. So ist beispielsweise der Sehsinn der gepanzerten Vierbeiner sehr gut ausgeprägt. Sie haben wie alle Reptilien vier verschiedene Farbrezeptoren und können daher auch Infrarot- und Ultraviolett-Strahlung wahrnehmen. Ebenso können Schildkröten ausgezeichnet riechen. Wasserschildkröten nehmen Duftstoffe über kauend-pumpende Bewegungen des Unterkiefers und Halses wahr. Ihre Geruchsrezeptoren befinden sich im Rachen. Über den Duft erkennen Schildkröten nicht nur ihr Fressen, sondern auch ihre Partner. Und sie nutzen den „Duft“ der Umgebung auch zur Orientierung: Meeressschildkröten legen oft tausende von Kilometern in den Ozeanen zurück.

Zudem besitzen die Schildkröten einen ganz besonderen Sinn – den Magnetsinn. Die Reptilien können sich wie zum Beispiel auch Forellen, Lachse oder Zugvögel am Magnetfeld der Erde orientieren. Sie verfügen über eine Art inneren Kompass, mit dem sie die Feldlinien des Erdmagnetfelds wahrnehmen und ihre Reiseroute entsprechend anpassen können.

Zähne überflüssig

Während die vor 220 Millionen Jahre lebenden fossilen Schildkröten noch Zähne besaßen, sind sie bei den rezenten Arten zurückgebildet. Heute nutzen Schildkröten deshalb ihre zu kräftigen Schneidewerkzeugen umgewandelte Kieferleisten aus Hornsubstanz. Wie alle Reptilien kauen Schildkröten ihre Nahrung nicht, sondern verschlingen sie entweder unzerkleinert oder reißen sie mit dem Schnabel in Stücke.

fressende Schildkröte
Trotz fehlender Zähne haben Schildkröten ein großes Nahrungsspektrum. © Fritz Geller-Grimm/ CC-by-sa 2.5

Die Rückbildung der Zähne schränkt die gepanzerten Vierbeiner in ihrer Nahrungsauswahl jedoch kaum ein: Viele Arten sind Allesfresser und bei ihrer Nahrungswahl nicht sehr wählerisch, was ihnen einen großen Überlebensvorteil verschafft. Das Nahrungsspektrum reicht je nach Art von Wiesenkräutern, Blüten und Früchten über Insekten und Würmer bis hin zu Aas von anderen Tieren. Außerdem verspeisen Schildkröten Schnecken, um mit den Schalen ihre Calciumversorgung zu decken. Meeresschildkröten ernähren sich zudem vor allem von Algen, Fischen, Seesternen und Krabben.

Überraschend dabei: Manche Schildkröten verwandeln sich im Laufe ihres Lebens vom Fleischfresser im Wasser zum Pflanzenfresser an Land, wie Josef Weisgram und sein Team von der Universität Wien herausgefunden haben. Die Ursache für diese erstaunliche Entwicklung hängt mit dem Wachstum der Zunge zusammen: Wenn die Zunge der Tiere zu groß wird, behindert sie die Nahrungsaufnahme im Wasser. Dann wechseln diese Schildkrötenarten an Land und steigen auf pflanzliche Nahrung um.

Keine Nieren notwendig

Eine ganz skurrile Verhaltensweise weist die chinesische Weichschildkröte (Pelodiscus sinensis) auf. Bei ihr konnten Forscher beobachten, dass sie in Trockenzeiten ihren Kopf manchmal mehr als eine Stunde lang in eine Pfütze oder einen Tümpel steckt und unter Wasser hält. Was dahintersteckt, haben Yuen Ip von der National University of Singapore und seine Kollegen herausgefunden.

Hinter dieser Verhaltensweise steckt eine ungewöhnliche Art, Urin loszuwerden: Die Weichschildkröte gibt in der Zeit, in der sie ihren Kopf ins Wasser steckt, Harnstoff über die Mundschleimhäute ab – sie uriniert gewissermaßen über ihren Mund. Die Nieren, die bei den meisten Tieren die Entsorgung dieses Abfallstoffs übernehmen, seien dagegen kaum beteiligt, so die Wissenschaftler.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Schildkröten
Urzeitliche Anpassungskünstler mit kleinen Eigenheiten

Überlebende der Urzeit
Schildkröten als Erfolgsmodell der Evolution

Gepanzert, zahnlos und mit Adleraugen
Typische körperliche Merkmale von Schildkröten

Erfolgsstrategien der Schildkröten
Überlebensförderliche und bizarre Verhaltensweisen

Möglichst energiesparend zum Ziel
Die Fortbewegungsstrategien der Schildkröten

Schildkröten in Gefahr
Mangelnder Lebensraum, Klimawandel und der Mensch

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