Dass am Geschmack mehr beteiligt ist als nur die Zunge, kann jeder selbst testen: Halten wir uns die Nase zu und essen dann eine Erdbeere, ist ihre Süße deutlich wahrnehmbar. Das typisch „erdbeerige“ aber fehlt – das schmecken wir erst, wenn unsere Nase wieder frei ist. Aber warum?
„Das charakteristische Aroma der meisten Lebensmittel und Getränke kommt mehr durch den Geruch als durch den Geschmack“, erklärt Leslie Stein vom Monell Chemical Senses Center. Die Verbindung zwischen Rachen und Nase sorgt dafür, dass die Duftstoffe dessen, was wir im Mund haben, zu den Nasenschleimhäuten und damit den Riechzellen gelangt. Im Gegensatz zu unseren Geschmacksknospen können sie tausende verschiedene Geruchsnuancen wahrnehmen. „Erst die Kombination aus dieser Geruchsinformation und den fünf Grundgeschmäckern ergibt das eindeutige Aroma einer Speise“, sagt Stein. Der typische Pfefferminzgeschmack beispielsweise besteht aus dem von unserer Nase aufgenommenen Minzaroma, einem leicht bitteren Geschmack und einem kühlen Gefühl im Mund.
Bitterer bei Kälte, saurer bei Wärme
Aber nicht nur chemische Signale bestimmen, wie uns etwas schmeckt: Auch Temperatur und die Beschaffenheit einer Speise beeinflussen unsere Aroma-Wahrnehmung. Wie sich unsere Sensibilität gegenüber warmen und kalten Geschmacksreizen unterscheidet, haben kanadische Forscher erst vor kurzem untersucht In ihrem Experiment kosteten 74 Versuchspersonen 5 und 35 Grad warme Lösungen mit saurem, bitteren oder süßem Aroma. Das Ergebnis: Wärme machte den sauren Geschmackseindruck intensiver. Bitteres erschien dagegen bei Kälte stärker.
Überraschend sei es allerdings, dass sich für die Süße kein Unterschied in der Geschmacksintensität zeigte, sagen die Forscher. Warum aber muss dann die Eismasse für Speiseeis fast schon übersüßt werden, damit uns das Eis am Ende halbwegs süß genug erscheint? Nach Ansicht von Gary Pickering und seinen Kollegen von der Brock University könnte das daran liegen, dass es bei Kälte einfach länger dauert, bis sich die Süße entfaltet. Denn das ließ sich in ihrem Experiment feststellen.
Bei einigen Menschen kann sogar ein Wärme- oder Kältereiz allein schon ausreichen, um eine Geschmacksempfindung auszulösen. Heizt man mit einer Thermosonde einen kleinen Teil ihrer Zunge auf, schmecken sie plötzlich süß – obwohl gar kein Süße vermittelndes Molekül präsent ist. Umgekehrt kann ein Kältereiz bei einigen den Geschmack von etwas Salzigem oder Saurem simulieren. Nach Schätzungen von Forschern gehören 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung zu diesen sogenannten „thermal tasters“.
Schärfe ist eigentlich Schmerz
Wie aber ist das mit einem scharf gewürzten Thaigericht oder der Chilisauce? Da es keinen eigenen Scharf-Geschmackssensor gibt, muss diese Eigenschaft über etwas anderes vermittelt werden. Aber was? „Die Schärfe einer Speise wird durch ein drittes Sinnessystem, die chemische Irritation, hervorgerufen“, erklärt Stein. „Dabei handelt es sich eigentlich um ein Warnsystem, das uns sagt, wenn unsere Körperoberfläche durch aggressive Chemikalien angegriffen wird.“
Im Fall des Scharfgeschmacks reizen bestimmte chemische Verbindungen im Essen, darunter das in Chili enthaltene Capsaicin, Ammoniak oder bestimmte ätherische Öle die Zunge und die Mundschleimhäute. Tausende von Nervenenden in der Haut der Mundhöhle und der Nase registrieren diesen Reiz und senden ein Schmerzsignal weiter an den Trigeminusnerv und weiter ins Gehirn. Dort erst wird dieser Schmerzreiz mit den Signalen der Riech- und Geschmackszellen kombiniert und erst dadurch zu einem Teil des Aromas.
Nadja Podbregar
Stand: 19.10.2012