Wie stark prägen Erwartungen unser Schmerzempfinden? Und lässt sich dieser Zusammenhang womöglich beeinflussen? Genau dies wollen Schmerzforscher Falk Eippert und sein Team herausfinden. Gelingt das, so die Idee, lassen sich die Ergebnisse auf chronische Schmerzen übertragen und daraus womöglich gezieltere Therapien für Betroffene entwickeln. Je nach konkreter Situation können sich dann einige Behandlungen mehr auf die mechanischen Schwachstellen konzentrieren, andere dagegen eher auf die falsch programmierten Erwartungen.
Tatsächlich zeigte sich bereits, dass im Gehirn beide Signal-Arten getrennt voneinander verarbeitet werden können. Einige Bereiche kümmern sich hauptsächlich um die Intensität des eintreffenden Reizes, also die physikalische Information. Andere beschäftigen sich vornehmlich mit dem Unterschied zwischen dem vorhergesagten Schmerz und dem tatsächlich erfahrenen. Die werden aktiv, wenn man ein starkes Stechen erwartet, das dann aber nicht eintritt – und umgekehrt.
Blau signalisiert starke Schmerzen
Um genauer zu untersuchen, wie Schmerz wahrgenommen und verarbeitet wird, nutzen die MPI-Forscher unter anderem Verhaltenstests, mit denen sie den Unterschied zwischen erwarteten und tatsächlich auftretenden Signalen messen. Dabei geben sie ihren Testpersonen starke und nur leicht schmerzhafte Hitzereize in zufälliger Abfolge und koppeln dies mit einem weiteren Sinnesreiz. Sieht eine Studienteilnehmerin etwa einen blauen Bildschirm, erhält sie über eine kleine Platte am Arm einen stark schmerzhaften Reiz – bei einem roten Bildschirm dagegen nur einen leicht schmerzhaften.
Dadurch entsteht eine Assoziation zwischen „Blau“ und „starker Schmerz“ sowie „Rot“ und „leichter Schmerz“ – und damit eine Erwartungshaltung gegenüber den einzelnen Farbtönen. Diese zeigt sich auch an der Aktivität der Nervenzellen: Bei einem erneuten Blau aktivieren sich die entsprechenden Neuronen schon bevor die Hitze überhaupt eintrifft. Ist die Farbe Blau dann plötzlich doch nur mit einem leichten Schmerz verbunden, führt dies zu einer überschießenden Reaktion. Über diese lässt sich berechnen, welchen Anteil die Erwartung an der Schmerzreaktion hat.
Trennung schon im Rückenmark
Das Interessante dabei: Aufgetrennt werden diese beiden Arten an Informationen – physikalische und erwartete – offenbar nicht erst im Gehirn. Stattdessen könnte dies bereits im Rückenmark erfolgen, der ersten zentralen Verarbeitungsstelle für Schmerzen außerhalb der Kopfregion. Diese frühe Auftrennung der subjektiver Erwartung und des tatsächlichen Schmerzreizes könnte sich für die Schmerztherapie nutzen lassen.
Ließe sich, so die Vision Eipperts, bereits an dieser Stelle etwas an den Signalen ändern, wäre das effizienter, als auf nachgeschalteten, höheren Ebenen, auf denen sich die Informationen bereits aufgefächert haben.