Bis zu sechs Prozent ihres gesamten Stickstoffgehaltes investiert die Tabakpflanze, um Nikotin zu produzieren. Das Zellgift dient als effektiver Schutz vor dem Angriff von pflanzenfressenden Insekten. Kaum anders sieht das bei den tropischen Ameisenpflanzen aus. Verschiedene Akazienbäume in den Tropen zweigen 30 Prozent der Fette, sieben Prozent der Proteine, zwei Prozent der Kohlenhydrate und fünf Prozent der durch die Photosynthese erzeugten Energie ab, um Ameisennahrung herzustellen. Die kleinen Insekten schützen die Pflanzen dafür vor dem Befall mit Raupen, Käfern oder Pilzen.
Diese Ressourcen fehlen den Ameisen- oder Tabakpflanzen dann jedoch möglicherweise bei der Samenbildung oder beim Pflanzenwachstum. Wie viel Verteidigung ist nötig und sinnvoll? Die Antwort auf diese Frage hängt of auch vom Standort der Pflanze, den dort herrschenden Umweltbedingungen und der Räuber-Beute-Situation ab.
Experimente an Tabakpflanzen
Ian Baldwin vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie konnte bei Freilanduntersuchungen in den USA nachweisen, dass sich eine künstlich angeregte Produktion von Nikotin durch Tabakpflanzen vor allem dort lohnt, wo relativ wenige Feinde vorhanden sind. Dort erzeugen die besser geschützten Pflanzen rund ein Zehntel mehr Samen als normale Pflanzen im Kontrollversuch. Sind dagegen die Schädlinge in der Übermacht oder am Standort so gut wie gar nicht vorhanden, macht die Nikotinproduktion nur wenig Sinn.
Im ersten Fall waren die Pflanzen zwar vor den Fraßfeinden sicher, konnten aber kaum noch Nachwuchs erzeugen. Dort, wo kaum Feinde lauerten, verschlang die Nikotinproduktion ebenfalls unnötig Energie und führte zu einem Rückgang der Samenproduktion um 25 Prozent gegenüber den Kontrollpflanzen.
Wissenschaftler sprechen deshalb in der Publikation BIOMAX der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) bei der variablen Abwehrstrategie „Wachse oder verteidige dich!“ von einer optimierten „Kosten-Nutzen-Rechnung, die das Überleben der Pflanzen sichert und die man auch als ökologische Fitness bezeichnen kann.“
Anpassung und Gegenanpassung
Gifte und andere chemische Waffen der Pflanzen sind zudem kein Allheilmittel. Immer wieder gelingt es einigen Tieren die Pflanzenabwehr zu überlisten und Resistenzen gegen bestimmte Substanzen zu entwickeln oder toxische Stoffe zu neutralisieren. Manche legen sich, wie beispielsweise die Giraffen, aber auch nur eine Art Rüstung zu – unempfindliche lederartige Lippen -, um mit Dornen bestückte Bäume wie Akazien als Nahrungsquelle nutzen zu können.
Solche Anpassungen und Gegenanpassungen haben in Jahrmillionen der Evolution immer wieder das Gleichgewicht zwischen tierischen Räubern und pflanzlicher Beute in den Ökosystemen der Erde verschoben. Mal hatten bestimmte Pflanzenarten aufgrund neuer Abwehrmethoden bessere Chancen zum Überleben, dann wieder lag der Vorteil eher auf Seiten der Schädlinge. Als evolutionäre Reaktion hatten diese irgendwann Strategien entwickelt um die innovativen Schutzschilde der Pflanzen wieder zu knacken.
Und auch heute ist dieser Wettlauf beim „survival of the fittest“ noch längst nicht vorbei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis im Rahmen der Evolution durch Prozesse wie Mutation, Selektion oder Isolation neue Pflanzenarten mit neuen chemischen Verteidigungsmethoden entstehen. Ob die Pflanzenfresser dann auch darauf wieder eine Antwort finden, ist offen.
Stand: 04.02.2005