Staatliche Unterdrückung, Krieg, Verfolgung, Zwangsumsiedlung, Völkermord – der Sprachenverlust ist oft¬ an tragische Schicksale gebunden. Der Bamberger Linguist Haig hat das im Nordiran hautnah erlebt. Im Grenzgebiet zum Irak dokumentierte er 2007 mit einem Team aus Linguisten, Iranisten und Musikwissenschaftlern die Sprache Gorani, die durch das regional verbreitete Südkurdisch und durch Persisch bedroht ist. Zumal an den Schulen nur auf Persisch unterrichtet werden darf, „ist es sehr wahrscheinlich, dass die jüngeren Sprecher nach und nach von Gorani zu Persisch übergehen werden“, erwartet Haig.
Dem autoritären Regime in Teheran sind die Menschen in den Bergdörfern ohnehin ein Dorn im Auge. Gehören sie doch der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaft¬ Ahl-e Haqq an (auch bekannt als Yaresan) und stehen damit im Widerspruch zur islamischen Ideologie des Landes. „Für die Sprachgemeinschaft war unser Besuch eine Sensation – Europäer hat es bislang kaum in diese Dörfer verschlagen“, erinnert sich Haig. „Deshalb wollten sie die Situation auch nutzen, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen.“
In Lebensgefahr
Das Projekt musste der gebürtige Engländer allerdings 2008 zu Gorani-Sprechern in den Nordirak verlegen. Sein Gewährsmann, ein religiöser Führer der Yaresan, war wegen seiner Kritik an der iranischen Repressionspolitik ins Visier des Teheraner Regimes geraten und musste fliehen. „Wären wir noch einmal hingefahren, hätten wir die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Dorfbewohner gerichtet und sie damit gefährdet.“ Unter diesen Umständen war eine Rückkehr ausgeschlossen. „Letztendlich geht es um Menschen“, fügt Haig an.
Besonders aufgewühlt waren die Forscher aber über das Leid, das den Gorani im Ersten Golfkrieg widerfuhr. Damals erlangten Saddam Husseins Giftgasangriffe gegen die kurdische Bevölkerung im Irak traurige Berühmtheit. Doch drang kaum an die Weltöffentlichkeit, dass er 1988 auch Dörfer auf iranischer Seite bombardieren ließ. Obwohl 150 Menschen starben und viele mit den Spätfolgen des Giftgasangriffs zu kämpfen hatten, leistete die iranische Regierung ihren eigenen Staatsbürgern keine Hilfe. Haig und seine Kollegen kamen nun dem Wunsch der Dorfbewohner nach und veröffentlichten deren Schilderungen.
Karin Schlott / VolkswagenStiftung, Broschüre Bedrohte Sprachen
Stand: 24.05.2013