Während ein astronomischer Bezug für Linien und abstrakte Muster unter den Geoglyphen durchaus plausibel erscheint, gilt dies für die vielen Tierbilder und Menschenfiguren nicht. Was also bewog die Menschen früher Kulturen, riesenhafte Katzen, Pferde, Vögel, Echsen oder Spinnen in den Boden zu scharren? Und warum gleichen einige Geoglyphen bewaffneten Riesen oder Menschen mit überproportional großen Augen?
Totems und Gottheiten
Eine eindeutige Antwort gibt es auch auf diese Fragen bisher nicht – wie oft im Kontext der Geoglyphen. Allerdings legen die überlieferten Glaubensvorstellungen vieler Naturvölker nahe, dass Tiere eine wichtige Rolle für das spirituelle und religiöse Leben dieser Menschen spielten. Sowohl für die amerikanischen Ureinwohner als auch die Aborigines in Australien gelten bestimmte Tiere als Totems, hilfreiche Geistwesen oder Götter.
„Tierfiguren könnten ein Symbol der Macht gewesen sein“, erklärt der Archäologe und Autor Federico Mailland. „Das Tier wurde abgebildet, um an seinen Fähigkeiten teilzuhaben – Stärke, schnelles Laufen, die Fähigkeit zu springen, scharfe Sicht, gute Ohren oder auch schnelle Reflexe.“ Als Totem könnte eine Tier-Geoglyphe auch das Territorium oder den Machtanspruch eines Volks oder Stammes markieren.
Bitte um Regen und Wasser
Für einige Tierfiguren und abstrakten Symbole in den trockenen Wüsten Perus liegt noch eine weitere Deutung nahe: Zur Zeit der Paracas und später auch der Nazca veränderte sich das Klima im Küstengebiet Perus – es wurde trockener. Einige Archäologen vermuten daher, dass die Geoglyphen in engem Zusammenhang mit Fruchtbarkeitssymbolen, Regenzeremonien und Wassergottheiten stehen könnten.
„An einigen Orten in der Nazca-Region haben Archäologen nicht nur altarähnliche Plattformen mit Resten von Tieropfern entdeckt, sondern auch Schalen von Klappmuscheln (Spondylus), die im Pazifik vor der Küste Perus vorkommen“, erklärt Bernhard Eitel von der Universität Heidelberg. „Diese Schalen deuten auf einen Wasser- und Fruchtbarkeitskult hin.“
Einige Tierfiguren enthalten zudem geometrische Muster, die an Wassersymbole erinnern. So ähnelt der spiralförmig gewundene Schwanz des „Affen“ stark den damals üblichen unterirdischen Zisternen mit spiraligem Zugang, den sogenannten Puquios. Andere eher abstrakte Bodenbilder könnten Hinweise auf den Verlauf der unterirdischen Bewässerungskanäle darstellen. Auffallend ist nach Ansicht einiger Archäologen auch die Ausrichtung vieler Linien auf die Anden hin – das Gebirge, von dem das Wasser zu Tal strömte.
Sonnenpferd am Kreidehang
Eher als Stammeszeichen galt dagegen lange das Weiße Pferd von Uffington in Südengland. Weil es an einem Hügelhang liegt und daher zumindest Teile davon weithin sichtbar sind, könnte es allen Neuankömmlingen signalisiert haben, wer in diesem Gebiet das Sagen hat – so die gängige Annahme. Eine ganz andere Erklärung hat dagegen vor kurzem der Archäologe Joshua Pollard von der University of Southampton vorgestellt.
Seiner Ansicht nach ist die in den weißen Kalkuntergrund gegrabene Geoglyphe ein sogenanntes „Sonnenpferd“ – ein in der europäischen Bronzezeit weitverbreitetes religiöses Symbol. „Der Glaube an eine göttliche Sonne, die bei Tag in einem Pferdewagen über den Himmel gezogen wird und bei Nacht mittels Boot oder Kutsche durch die Unterwelt reist, ist ein wiederkehrendes Motiv in indoeuropäischen Mythologien“, erklärt Pollard. Aus der Bronzezeit sind mehrere Gravuren, Reliefs und auch Skulpturen wie der Sonnenwagen von Trundholm bekannt.
Als ein Indiz für die Funktion des Uffington-Pferdes als ein solche Sonnensymbol sieht Pollard dessen Ausrichtung: Das Pferd scheint nicht nur den Hügel hinauf zu galoppieren, sondern folgt dabei auch dem Sonnenlauf. Verlängert man die Achse des Pferdes, zeigt sie auf den Sonnenuntergang zur Wintersonnenwende. „Seine Position auf den Berkshire Downs hatte für seine Erschaffer wahrscheinlich eine immense religiös-kultische Bedeutung“, mutmaßt der Archäologe.
Es bleibt ein Geheimnis
All diese Beispiele demonstrieren: Hypothesen zur Bedeutung der Geoglyphen gibt es unzählige –bewiesen ist jedoch keine davon. Von vielen Kulturen, die einst diese Geoglyphen erschufen, ist heute kaum mehr erhalten geblieben als ihre riesenhaften Kunstwerke. Wir kennen weder ihre Glaubensvorstellungen, noch ihre Rituale oder Traditionen. Bisher ist nicht einmal geklärt, ob die Bodenbilder ihren Zweck erst im fertigen Zustand erfüllten, oder ob nicht vielleicht der mühevolle Prozess ihrer Herstellung das eigentliche Ritual und Opfer für die Götter darstellte.
Klar scheint nur: Menschen in vielen Kulturen und Erdteilen verspürten offenbar den Drang, große Landschaftsbilder zu erschaffen. Für sie investierten sie viel Arbeit und Zeit – entsprechend wichtig müssen sie ihnen gewesen sein. Worin aber ihre wahre Bedeutung lag, wird möglicherweise immer ein Geheimnis bleiben.