Aber wie entsteht Sprache überhaupt? Und wie die einzelnen Sprachen? Seit alters her ranken sich um dieses Thema Mythen und Theorien.
Vom Paradies zum Turm zu Babel
In der semitischen Welt erschafft Gott den Menschen im Paradies mit seiner Sprache, jedoch mit einem unvollständigen Wortschatz. Im ersten Buch Mose des Alten Testaments ist dazu zu lesen: „Da nun Gott, der Herr, von der Erde gebildet hatte alle Tiere des Feldes und alle Vögel unter dem Himmel, so führte er sie dem Menschen vor, zu sehen, wie er jedes nennen würde. Und alle belebten Wesen sollten den Namen behalten, den ihnen der Mensch beilegte.“
Ähnlich ist bei den gnostischen Mandäern aus der Zeit des Alten Testaments. Bei ihnen wird Adam in der Lichtwelt erschaffen und bekommt von dort seine Sprache: „Ehe ein Mensch vorhanden war, existierten Glanz, Licht und Ehre, und der Glaube erschien, nachdem man Adam geschaffen hat, und er zu reden anfing“, heißt es beim mandäischen Erzähler Scheich Sālem Čoheylī. „Dann, auf Gottes Befehl hin, sollte man Adam, den ersten Mann, (aus der Lichtwelt) auf die Erde herabbringen.“
Die Entstehung mehrerer Sprachen wird in der Bibel der Überheblichkeit der Menschen zugeschrieben, die einen Turm bis in den Himmel bauen wollten. Durch die Verwirrung der Sprache beendete Gott den Bau des Turmes.
„Vollkommene Zuordnung“
Die Sprachreflexion der Griechen und Römer kennt einen mythischen Sprachschöpfer, der die Wörter den Dingen in vollkommener Weise zugeordnet habe. Platon nennt ihn „Demiurg“ (Baumeister) und Varro „rex“ (König). Nach der antiken Vorstellung stehen die Wörter zu den Dingen, die sie bezeichnen, in einem Verhältnis der „Richtigkeit“, deren Quelle aber im Dunkeln liegt.
Wir Sprecher dürfen die Zeichen unserer Sprache daher nicht eigenmächtig ändern, wenn wir einander verstehen wollen, und doch sehen wir sie sich wandeln. Ein autoritativer Sprachschöpfer muss also sein Werk in die Zeit gestellt haben.
Der römische Dichter Lukrez, der im 1. Jahrhundert vor Christus lebte, unterläuft dieses Konstrukt allerdings mit einer rationalistischen Fundamentalkritik: Wie hätte ein Einzelner seine Erfindung bei allen anderen durchsetzen können? In welchem Medium hätte er ihnen Nutzen und Gebrauch der Sprache erklären sollen? Hätten die neu erfundenen Wörter den Sprachunkundigen nicht wie bloße Geräusche vorkommen müssen?
Werner Arnold und Gerrit Kloss, Universität Heidelberg / Ruperto Carola
Stand: 10.03.2017