Das LHC wurde gebaut, um Antworten zu finden – so die ganz pragmatische Erklärung des CERN, aber auch vieler beteiligter Wissenschaftler. Er soll Antworten liefern auf Schlüsselfragen nicht nur der Teilchenphysik, sondern auch der Kosmologie, der Physik allgemein und letztlich auch unseres gesamten wissenschaftlichen Weltbilds. Denn es geht am Ende um nichts weniger als um die Entstehung und die Bausteine unseres Universums und damit auch der Erde und des Menschen.
In den letzen Jahrzehnten ist es Physikern immer besser und genauer gelungen, die Elementarteilchen, die Grundbausteine des Universums und ihre Wechselwirkungen zu beschreiben. Dieses eng mit dem Standardmodell der Physik verknüpfte Wissen hat jedoch noch einige Lücken und kann einige Phänome noch immer nicht erklären. Um diese Lücken zu schließen und die neu entwickelten Theorien und Hypothesen zu testen, fehlten bisher die experimentellen Beweise. Mit dem LHC könnte sich dies ändern. Denn die ungeheure Energie der in ihm erzeugten Teilchenkollisionen erlaubt Einblicke in die Grundlagen unserer Materie, wie sie zuvor noch niemals möglich waren.
Newtons unvollendete Aufgabe: Was ist Masse?
Was ist der Ursprung der Masse? Warum wiegen die kleinsten Teilchen genau soviel wie sie es tun? Warum gibt es sogar Teilchen ohne Masse? Auf all diese Fragen gab es bisher keine eindeutigen Antworten. Das physikalische Standardmodell, das von der Existenz von zwölf Elementarteilchen und vier fundamentalen Kräften ausgeht, gilt bis heute als die beste Erklärung für die Struktur unserer Welt und der Materie. Aber während für drei der vier Grundkräfte – die starke Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die elektromagnetische Wechselwirkung – die Trägerteilchen inzwischen bekannt und experimentell nachgewiesen sind, fehlt bisher vom Higgs-Boson, dem Trägerteilchen der vierten Grundkraft, der Schwerkraft, jede Spur.
Seine Existenz würde die lange gesuchte Erklärung für den Ursprung der Masse liefern. Denn je stärker ein Materieteilchen mit diesem Higgs-Boson interagiert, desto größer wäre demnach seine Masse, lässt es sich überhaupt nicht vom Higgs-Boson beeinflussen, erscheint es uns masselos. Diese Theorie wurde zwar schon 1964 postuliert, aber bis heute war kein Teilchenbeschleuniger stark genug, um das geheimnisvolle „Gottesteilchen“ und damit die Richtigkeit dieses Erklärungsmodells nachzuweisen.
Mit dem LHC wird genau das nun erstmals möglich sein. Die Experimente ATLAS und CMS sind speziell dafür konzipiert, nach Indizien für dieses bisher so schwer fassbare Teilchen zu suchen. Zwar wird das Higgs-Boson nicht selbst nachweisbar sein, aber, so die Hoffnung, andere Teilchen, deren charakteristische Muster durch dessen Zerfall entstehen. Sollten sich diese Muster in den Detektoren zeigen, wäre dies nach Ansicht der Physiker ein erster Beweis für die Existenz des „Gottesteilchens“.
Ein unsichtbares Problem: Woraus bestehen 96 Prozent des Universums?
Aber nicht nur die “normale” Materie gibt Rätsel auf: Alles was wir sehen, von der Ameise bis zur Galaxie, besteht zwar aus ihr, doch sie macht nach neuesten Erkenntnissen nur vier Prozent des Kosmos aus. Der Rest besteht, so glauben die Astronomen, aus 26 Prozent Dunkler Materie und 70 Prozent Dunkler Energie. Aber obwohl es zahlreiche indirekte Belege für deren Existenz gibt, darunter vor allem ihre Schwerkraftwirkung auf die sichtbare Materie, entzieht sich diese dunkle Seite des Universums einer direkten Untersuchung. Daher ist es auch bisher unbekannt, woraus die Dunkle Materie genau besteht? Enthält sie möglicherweise supersymmetrische Gegenstücke zu den uns bekannten Elementarteilchen der normalen Materie?
Genau das sollen die ATLAS- und CMS-Experimente des LHC nun endlich herausfinden. Sie sollen gezielt nach supersymmetrischen Teilchen suchen.
Stand: 05.09.2008