Die Wiederentdeckung alter Medikamente birgt großes Potenzial – doch es wird noch längst nicht voll ausgeschöpft. Einer der Gründe: Viele theoretisch umfunktionierbare Wirkstoffe verstecken sich regelrecht. Dies liegt nicht nur daran, dass es in vielen Bereichen an übersichtlichen Datenbanken fehlt. Kommerziell erforschte Verbindungen sind für den Rest der Wissenschaftswelt oft überhaupt nicht zugänglich, weil sie der Geheimhaltungspolitik der Firmen unterliegen. Selbst Daten aussortierter Wirkstoff-Kandidaten werden oftmals unter Verschluss gehalten.
Versteckt in der Pharma-Schublade
„Akademische Forscher müssen Zugang zu mehr Verbindungen haben – idealerweise in Form von großen Wirkstoffbibliotheken“, fordern Sudeep Pushpakom von der University of Liverpool und seine Kollegen. Genau darum bemühen sich inzwischen viele Initiativen und holen auch die Pharmaindustrie mit ins Boot. So haben beispielsweise das Medical Research Council (MRC) in Großbritannien und das amerikanische National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS) Vereinbarungen mit großen Firmen getroffen, damit diese einen Teil ihrer nicht mehr genutzten Verbindungen öffentlich machen.
All diese Wirkstoffe sind bereits präklinisch und in ersten Studien mit Menschen getestet und als sicher bewertet worden, haben den Sprung zur Vermarktung aber nicht geschafft und sind dann in den Schubladen der Konzerne liegengeblieben. „Es könnte viel Forschung durchgeführt werden, die aber nicht passiert, weil Wissenschaftler zum Beispiel an Universitäten nicht mitbekommen, was Pharmaunternehmen treiben“, sagte Christine Colvis vom NCATS gegenüber dem Fachmagazin „Nature“.
Fehlendes kommerzielles Interesse
Doch nicht immer ist der Zugang zu den Wirkstoffen das Problem: Vor allem bei Mitteln mit abgelaufenem Patent fehlt oft das kommerzielle Interesse, eine mögliche Zweitverwertung zu erforschen. Denn nur weil ein Generikum für ein neues Anwendungsgebiet auf den Markt kommt, ergeben sich daraus noch lange keine Exklusivrechte für die Hersteller. Das erhöht die Konkurrenz und drückt die Umsatzaussichten.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat auf dieses Hemmnis bereits reagiert, indem sie eine spezielle Regelung für solche Fälle geschaffen hat. Anders als bei einem Generikum sonst üblich, kann für die Entwicklung einer neuen Indikation eine Marktexklusivität von drei Jahren gewährt werden. Nach Ansicht vieler Fachleute müssten mehr solche Anreize geschaffen werden, um alte Medikamente noch einmal unter die Lupe zu nehmen – sei es in Form von Marktrechten oder Fördermöglichkeiten.
Die Kehrseite des Zweitverwertungstrends
Gleichzeitig ist jedoch auch ein genauerer Blick darauf nötig, wann die Zweit- oder Drittverwertung eines Medikaments Sinn macht und wann nicht. Vor allem bei patentrechtlich noch geschützten Arzneimitteln bemängeln Kritiker mitunter den Trend zur Zweckentfremdung. Denn oft gehe es lediglich darum, den Umsatz weiter zu erhöhen, weil das Geschäft mit der alten Indikation stagniere. Kurzum: Es wird dann nach einer neuen Krankheit für die Pille gesucht – obwohl es doch eigentlich anders herum sein sollte.