Angesichts des Mangels an Spenderblut und der geringen Haltbarkeit von Blutkonserven stellt sich die Frage, warum die moderne Medizin nicht schon längst künstliches Blut entwickelt hat. Immerhin können Wissenschaftler dank Gentechnik und Nanotechnologie inzwischen selbst Vorformen von Gefäßen und Organen im Labor züchten und auch bestimmte Blutzellen aus Stammzellen erzeugen. Warum also nicht auch das komplette Blut?
Komplexes Gemisch
Ein Grund dafür ist die schiere Komplexität des Lebenssafts: Unser Blut ist ein komplexes Gemisch aus Zellen, Flüssigkeit und Molekülen mit jeweils bestimmten Aufgaben. Erst durch ihr Zusammenwirken kann das Blut seine vielfältigen Funktionen erfüllen – vom Transport verschiedenster Stoffe über die Abwehr von Eindringlingen bis hin zum Verschluss von Wunden. Für unser unmittelbares Überleben am wichtigsten ist allerdings die Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe.
Zuständig dafür sind die roten Blutkörperchen. Rund 25 Billionen dieser napfförmigen, knapp acht Mikrometer großen Zellen hat jeder Mensch in seinen Adern. Rund vier Monate kreist jeder Erythrozyt in unserem Körper, bevor er ausgemustert und durch ein neues Blutkörperchen ersetzt wird. In dieser Zeit hat das Blutkörperchen Milliarden Sauerstoffmoleküle an sich gebunden, transportiert und wieder abgegeben.
Schlüsselmolekül Hämoglobin
Möglich wird der Sauerstofftransport dadurch, dass das rote Blutkörperchen statt des Zellkerns, der DNA und der Mitochondrien fast nur Hämoglobin enthält. Dabei handelt es sich um einen vierteiligen Proteinkomplex, der in seinem Zentrum ein Eisen-Ion enthält. Dieses gibt dem Blut seine rote Farbe und ermöglicht die Bindung von Sauerstoff. Jedes Hämoglobin-Molekül kann dabei vier Sauerstoffatome an sich binden.
Wie das Hämoglobin aussieht und funktioniert, ist seit dem Jahr 1959 bekannt, als der Chemiker Max Perutz die Struktur des Molekülkomplexes mittels Röntgenkristallografie entschlüsselte. Es rein chemisch im Labor herzustellen ist bisher jedoch nicht möglich. Hämoglobin kann zwar mittels gentechnisch verändert Escherichia-coli-Bakterien produziert werden. Einfacher und gängiger ist allerdings die Verwendung von Hämoglobin aus Rinderblut, abgelaufenen menschlichen Blutspenden oder der Plazenta.
Giftige Schattenseite
Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, das Hämoglobin-Molekül als Hauptkomponente eines künstlichen Bluts zu nehmen. Denn dieses könnte dann die lebenswichtige Hauptaufgabe des Bluts leisten – den Sauerstofftransport. Schon seit den 1980er Jahren wird daher mit hämoglobinbasiertem Kunstblut experimentiert – mit nur begrenztem Erfolg.
Das Problem: Pures, nicht von einer Zellmembran geschütztes Hämoglobin ist sehr instabil und zerfällt leicht. Außerdem hat es eine toxische Wirkung: Das Hämoglobin führt zu einer starken Verengung der Adern, lässt Blutkapillare kollabieren und kann Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen. Auch für die Nieren und einige andere Organe ist der Blutfarbstoff hochgiftig, wie Mediziner schon in den 1930er Jahren feststellten. Nachdem sie Katzen eine zellfreie Hämoglobin-Lösung injiziert hatten, gingen die Tiere fast alle an Nierenversagen zugrunde.