Wer plötzlich eine Stimme hört oder den sprichwörtlichen „rosa Elefanten“, muss sich deswegen noch keine Sorgen machen. Denn gerade eine kurze, einmalige Halluzination erleben weitaus mehr Menschen als man bisher dachte – und das ganz ohne deshalb krank zu sein oder gar unter einer Psychose zu leiden.
Mehr als fünf Prozent
Herausgefunden haben dies Forscher um John McGrath von der University of Queensland. Für ihre Studie hatten sie mehr als 31.000 gesunde Menschen in 18 Ländern danach gefragt, ob sie im Laufe ihres Lebens schon einmal Halluzinationen erlebt hatten, wie oft und in welcher Form. Das überraschende Ergebnis: Gut fünf Prozent der Befragten beantworteten dies mit Ja. Von diesen hatte die Mehrheit schon einmal eine visuelle Erscheinung erlebt, die Hälfte berichtete von mindestens einem Vorkommnis, bei dem sie eine Stimme hörten.
„Dennoch sind alle diese Menschen gesund und funktionieren völlig normal“, berichtet McGrath. „Auch gesunde Menschen können demnach Halluzinationen erfahren.“ Auffallend war allerdings, dass dies bei den meisten Studienteilnehmern nur sehr selten vorkam: Ein Drittel hatte nur einmal im Leben eine Halluzination erlebt, ein weiteres Drittel berichtete von zwei bis fünf Episoden.
„Die Menschen können daher ganz beruhigt sein, solange dies nur ein- oder zweimal vorkommt“, sagt McGrath. „Dann liegt mit ihnen nichts Grundsätzliches im Argen. Wenn jemand aber regelmäßig solche Erfahrungen macht, dann empfehlen wir, sich Rat zu holen.“
Freud hört Stimmen
Von Halluzinationen in ganz normalen Alltagssituationen berichtet schon der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud: „In den Tagen, als ich als junger Mann in einer fremden Stadt lebte, hörte ich häufiger, wie mein Name in einer unverwechselbaren und geliebten Stimme gerufen wurde“, schreibt er in seinem Buch „Psychopathologie des alltäglichen Lebens“.
Doch als er sich umschaute, war diese Person nirgendwo zu sehen. „Ich notierte mir dann den exakten Moment der Halluzination und fragte später zuhause nach, ob zu dieser Zeit etwas Besonderes geschehen sei – was aber nicht der Fall war.“
Die rettende Halluzination
Situationen großer Gefahr und großer Erregung scheinen dieses Stimmenhören noch zu fördern, wie der Neurologe Oliver Sacks am eigenen Leib erfahren hat. Als er beim Bergwandern stürzte und sich schwer am Knie verletzte, kroch er mühevoll und unter Schmerzen talwärts, weil er nur dort Hilfe finden würde. An einem Punkt war er nahe daran aufzugeben und einfach liegenzubleiben.
„Doch dann ertönte eine starke, befehlende Stimme, die sagte: ‚Du kannst dich hier nicht ausruhen, Du musst weitergehen.'“ Wie Sacks berichtet, nahm er diese Worte eindeutig als von außen kommend wahr – es war eine Halluzination. Während unser Gehirn normalerweise sehr gut zwischen inneren Stimmen und echten äußeren akustischen Reizen unterschieden kann, funktionierte dies in dieser Situation offenbar nicht mehr. Warum, wissen auch die Neurologen bisher nicht genau.
Nadja Podbregar
Stand: 24.02.2017