Misteln kommen nur auf anderen Pflanzen vor und verwachsen mit ihnen. Das sichert ihnen das Überleben und spart den immergrünen Pflanzen eine Menge Energie und Baumaterial. Denn die Mistel zapft ihrem Wirt Wasser mitsamt der darin gelösten Minerale ab und sichert sich so einen wichtigen Teil ihrer Versorgung – selbst während der winterlichen Wachstumspause der Bäume. Denn in dieser Zeit schüttet die Mistel Botenstoffe aus, über die sie die Wasserzufuhr aus ihrem Wirt reguliert.
Wassersparen – auch zum Wohl des Wirtsbaums
Generell geht die Mistel jedoch „sparsam“ mit den Ressourcen ihrer Wirtspflanze um und wächst deshalb auch nur sehr langsam: Erst etwa im zweiten Jahr entsteht der erste verzweigte Spross mit den für Misteln üblichen ledrigen Laubblättern. Für diese Blätter muss die Mistel nur wenig Wasser von ihrem Wirtsbaum abziehen, denn durch die dicke Haut sind die Wasservorräte gut vor Wärme geschützt und verdunsten nicht so schnell. Und weil Misteln ihre immergrünen Blätter im Winter behalten und damit im Frühjahr keine neuen bilden müssen, sparen sie ebenfalls Wasser.
Bis die Mistelpflanze Beeren trägt, vergehen mindestens fünf Jahre und um ihre typisch runde Nestform zu erreichen, brauchen Misteln meist einige weitere Jahre. Ihre besondere Wuchsform entsteht, weil die Triebe der Misteln nicht nur eine bevorzugte Wachstumsspitze besitzen. Stattdessen teilt sich jeder Trieb an seinem Ende in zwei bis fünf nahezu gleich lange Seitentriebe, die alle etwa im selben Winkel abzweigen – unabhängig von der Sonneneinstrahlung. Dass die Mistel so kugelig wächst, hat einen entscheidenden Vorteil für die Aufsitzer-Pflanze: Durch den Wuchs kann sie selbst im Winter in kahlen Laubbäumen nicht so leicht durch den Wind vom Baum gerissen werden können.
Mit ihrer Wuchsmethode können die Misteln über einen Meter Durchmesser erreichen. Ihre Wurzeln im Wirtsgewebe wachsen bei dieser Größe bis zu einem halben Meter tief in den Baum hinein und zweigen sich im Laufe des Dickenwachstums des Baums weiter in die äußeren Stammschichten ab, da das Splintholz mit den Wasserleitungen im Laufe des Baumlebens weiter nach außen wächst. Insgesamt können die Mistelgewächse etwa 50 Jahre bis 70 Jahre auf ihrem Wirt überleben.
Nur ein Halbschmarotzer
Dass Misteln so lange überleben, haben sie zwar größtenteils ihrem Wirt zu verdanken, jedoch tragen sie auch selbst zu ihrem Lebensunterhalt bei: Die grünen Mistelblätter enthalten Chlorophyll und können Photosynthese betreiben, sodass sich die Misteln eigenständig mit Kohlenhydraten versorgen können. Deshalb werden sie nicht als Parasit, sondern als Halbschmarotzer bezeichnet.
Doch bei der Energieversorgung gibt es bei den Misteln eine Besonderheit, für die sie zumindest teilweise auf ihre Wirtspflanze angewiesen sind: Normalerweise wandeln Pflanzen den über die Photosynthese erzeugten Zucker unter Sauerstoffverbrauch in chemische Energie um. Dabei wird das energiereiche Molekül Adenosintriphosphat (ATP) erzeugt. Diese Atmungskette läuft normalerweise über verschiedene Enzymkomplexe in den Kraftwerken der Zellen, in den Mitochondrien, ab.
Mistel atmet anders
Doch wie jüngst Genanalysen enthüllten, fehlen in den Mitochondrien der Mistelpflanze einige wichtige Gene, die normalerweise für einen der Enzymkomplexe der Atmungskette, den sogenannten NADH-Dehydrogenase-Komplex oder Komplex I, wichtig sind. „Man dachte bislang, dass höheres Leben ohne diesen Komplex I nicht möglich ist“, so Hans-Peter Braun von der Leibniz-Universität Hannover.
Doch Braun und sein Team konnten nachweisen, dass bei Misteln tatsächlich der gesamte Gencode für den Komplex I aus dem Erbgut gelöscht ist. Zudem sind zwei weitere Bauanleitungen für wichtige Enzymkomplexe der Zellatmung stark reduziert.
Ein weiteres Forscherteam um Etienne Meyer vom Max-Planck-Institut für Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm wies zudem nach, dass auch die von diesen Genen kodierten Proteine bei der Mistel nicht nachweisbar sind. „Ein solcher Verlust wurde zuvor nur bei einzelligen Eukaryoten beobachtet“, sagt Meyer. „Dies ist der erste Fall eines mehrzelligen Organismus, der auf diese Weise einen Großteil seiner Zellatmung verloren hat.“ Damit atmen die Misteln grundlegend anders als Pflanzen und Tiere.
Wirt als Energielieferant?
Durch den Mangel des Enzymkomplexes produzieren die Zellen der Mistel zwar weniger ATP und somit weniger Energie für den Zellstoffwechsel und etwa das Wachstum. Doch das vermindert nicht ihre Überlebenschancen: Im Laufe der Evolution hat sich die Mistel vermutlich so an ihren Wirt angepasst, dass sie ihm heute auch energiereiche Verbindungen entnimmt, spekulieren die Forscherteams. Ob diese Vermutung aber stimmt, muss noch weiter erforscht werden.
„Parasiten sind clever“, sagt Meyer. „Sie bekommen das meiste von dem, was sie zum Leben benötigen, von ihrem Wirt und es scheint so, als dass sie in diesem Zuge auf einige Zellfunktionen, die andere Organismen zum Überleben benötigen, verzichten können.“ Die Bereitstellung von Nährstoffen durch den Wirt könnte es der Pflanze erlauben, weniger Energie zu benötigen und zudem die Energie zu sparen, die sie sonst für den Komplexaufbau der Atmungskette in den Mitochondrien aufbringen müsste.