Schon bei Ausgrabungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts legten Archäologen die Überreste des babylonischen Schamasch-Tempels in Sippar nahe Bagdad frei. In einem der Räume des Heiligtums wurden, unter dem Fußboden deponiert, zwei Artefakte entdeckt: Der erste Fund ist das sogenannte Cruciform Monument – ein kreuzförmiges Steingebilde mit Inschriften auf allen Seiten. Diese enthalten Verweise auf den vor gut 4.200 Jahren über das Reich Akkad regierenden Herrscher Naram-Sin.
Das zweite Artefakt ist ein neubabylonischer Tonzylinder mit Keilschrift. Er stammt aus der Regentschaft des Königs Nabonid, der den Tempel im sechsten Jahrhundert vor Christus erbauen ließ. Der Tonzylinder enthält den Baubericht zum Schamasch-Tempel und erwähnt auch ein Objekt mit der Inschrift Naram-Sins – wahrscheinlich das Cruciform Monument.
Die älteste bekannte Fälschung der Geschichte
Doch der erste Eindruck täuscht: Bei dem Cruciform Monument handelt es sich keineswegs um ein 4.200 Jahre altes Artefakt, sondern um die älteste bekannte Fälschung der Menschheitsgeschichte. Das Objekt und die darauf befindliche Inschrift waren noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Fachkreisen als Akkad-zeitliches Original anerkannt. Erst 1968 identifizierte es der Keilschriftforscher Edmond Sollberger überzeugend als neubabylonische Fälschung. In der angeblich Akkad-zeitlichen Inschrift werden vom Akkad-König Naram-Sin festgesetzte Opfergaben an Schamasch aufgelistet.
Möglicherweise wurde die Fälschung von der Priesterschaft des Schamasch-Tempels in Auftrag gegeben, um gegenwärtige Ansprüche zur Ausstattung des Tempels zu legitimieren. Zugleich konnten die Tempelfunktionäre ihrem König Nabonid ein Originaldokument präsentieren, das ihm die ersehnte Gründung auf den alten und zuvor lange vergeblich gesuchten Fundamenten des Naram-Sin ermöglichte.
Form stützt vermeintliches Alter
Die vermeintliche Authentizität des Objekts wird durch seine ungewöhnliche Kreuzform gesteigert, für die nach aktuellem Kenntnisstand keine Parallelen aus Mesopotamien bekannt sind. Den Urhebern der Fälschung war also bewusst, dass formale Diskrepanz zur zeitgenössischen materiellen Kultur als Ausweis von Alter aufgefasst werden würde.
Vor diesem Hintergrund gehen wir der Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Nabonids Angaben zur erfolgreichen Suche nach alten Inschriften und Fundamenten nach. Diese nimmt der babylonische Herrscher in mehreren Bauinschriften für sich in Anspruch, die im Zuge von Neubauten für Tempel in verschiedenen südmesopotamischen Städten verfasst wurden.