Die „Heiligen“ galten nicht nur als Vermittler zwischen irdischer Wirklichkeit und Jenseits Er fungierte genauso auch als Prophet, Wettermacher, Rechtsanwalt, Namensgeber und vor allem auch Arzt. Seine Aufgaben dabei waren und sind zum Teil auch heute noch meist Vorsorge, Diagnose und Heilung von Krankheiten. Erkrankungen sind, dem traditionellen Glauben zufolge, Folgen von Zauberei oder Hexerei. Die Kunst des Heiligen Mannes ist es, zu erkennen, welcher Zauber hinter der Krankheit steckt.
Die Apachen glaubten beispielsweise, dass schwere Krankheiten durch Tabubrüche und den falschen Umgang mit heiligen Dingen verursacht werden. Verletzt jemand beispielsweise die „Hirschmacht“ indem er Hirschmagen kocht, Hirschzunge isst oder den Schwanz eines Hirsches abschneidet, bricht er ein Tabu und muss mit seiner Bestrafung in Form einer Krankheit rechnen. Um Krankheiten zu behandeln muss der Schamane sich ein immenses Wissen über die heilenden Wirkungen von Pflanzen und Kräutern aneignen. Aber zusätzlich beruft er sich beim Heilen auf die Unterstützung der Geister, zu denen er mit Tänzen und Gesängen Kontakt aufnimmt.
Indianische Heilpflanzen
Kakteensaft, Grizzlybären-Wurzel, Pflanzensud und heiße Steine – die Liste könnte noch endlos fortgesetzt werden, denn das naturheilkundliche Wissen der Indianer im Allgemeinen und der Medizinmänner im Besonderen war enorm groß. Hunderte von Heilpflanzen kannten sie.
Die Rinde des Fenchelholz-Baumes beispielsweise wurde gegen Koliken, Blähungen, Leber- und Nierenschmerzen eingesetzt. Tabak – die bekannteste indianische Kulturpflanze – war ebenso vielseitig verwendbar: Der Saft half gegen Zecken und desinfizierte Wunden. Sein Rauch linderte Kopf- und Zahnschmerzen. Meistens rauchten die Indianer den Tabak aber vermischt mit anderen Heilpflanzen. Als Arznei „für alle Fälle“ galt die Schafgarbe. Ihr Tee half immer, ob bei Erkältung, Fieber, Verstopfung oder Hämorrhoiden.
Der ebenfalls in der indianischen Naturheilkunde eingesetzte Sonnenhut Echinacea angustifolia ist heute eine in ganz Europa bekannte Arznei zur Stärkung der körperlichen Abwehrkräfte. Die Indianer verwendeten ihr altes Heilmittel bei Verletzungen, wobei das Wurzelpulver, auf die Wunde gestreut und die Blätter als Wundpflaster aufgelegt wurden. Die Dakota-Indianer tranken den Sud des Sonnenhuts gegen Blutvergiftung.
Indianische Medizin
Die traditionelle indianische Medizin versteht unter der Fähigkeit zu heilen mehr als nur das bloße Wissen um den Körper. Vielmehr müssen dabei alle Lebensbereiche umfasst und berücksichtigt werden. Grundprinzip ist deshalb nicht nur die reine Behandlung von Krankheiten, sondern eine Kombination von Religion, Kräuterheilkunde, Psychoanalyse und Philosophie. Sie soll durch Rituale Identität stiften, schafft Zusammenhalt durch Gemeinschaftserlebnisse und befriedigt seelische und emotionale Bedürfnisse durch ihre Spiritualität.
Wie bei der westlichen Medizin gibt es auch bei der indianischen Heilkunst Spezialisierungen. In diesem Falle zwischen reinen Diagnostikern und den Kräuterspezialisten oder auch „Mashki-kike-winini“ genannt. Nach dem Prinzip der Homöopathie versuchen die meistens weiblichen Vertreter dieser Gruppe Gleiches mit Gleichem zu heilen. Blätter, Beeren und Wurzeln sind die Basis ihrer Heilmethoden. Bittere Tränke sollen Dämonen aus Magen und Darm vertreiben, gelbe Blütenpflanzen die Geister der Gelbsucht und rote die von Blutkrankheiten. Auch wenn diese Therapien für die Ohren westlicher Mediziner eher nach Aberglaube klingen, haben sie doch schon beachtliche Erfolge erzielt. Bereits vor Jahrhunderten heilten die „Mashki-kike-winini“ mit Feigenkakteen Skorbut und mit Schimmelpilzkulturen Wundinfektionen und Diphtherie.
Die Arroganz des Weißen Mannes…
Die Weißen, allen voran christliche Missionare, verurteilten die indianischen Medizinmänner von Anfang an als Scharlatane und Betrüger. Kein Wunder, waren sie doch eine ernst zunehmende Konkurrenz. 1887 setzte Washington die gesamte indianische Kultur auf den Index und untersagten den Ureinwohner die Ausübung religiöser und medizinischer Riten. Die Aufhebung erfolgte erst 1934.
Erst seit dem 20. Jahrhundert befasst sich die westliche Wissenschaft näher mit der indianischen Medizin. Aber inzwischen ist ein großter Teil des traditionellen Wissens bereits unwiederbringlich verloren. In den Reservaten haben zwar einige Heilmethoden überlebt, doch die Schamanen sterben mit der Zeit aus. Die Ausbildung dauert Jahre und es fehlt an Nachwuchs. Die wenigen Jungschamanen müssen alle Gebete und Gesänge auswendig lernen, da es keine indianische Schriftsprache gibt. Aber einige Zeremonien umfassen eine halbe Million Worte, und die Geister helfen den Heiligen nur, wenn das Ritual bis ins letzte Detail stimmt…
Stand: 08.11.2003