Neue Organe für Nierenkranke, Knochenmark für Leukämiepatienten, insulinproduzierende Zellen für Diabetiker und Herzmuskelersatz für Infarktopfer – glaubt man den Szenarien der Genforscher, sind wir nur noch einen kleinen Schritt von geradezu paradiesischen Zuständen entfernt. In den leuchtendsten Farben preisen sie die Allmacht der embryonalen Stammzellen und ihre fast zauberhafte Fähigkeit, sich in die unterschiedlichsten Gewebe und Organe zu differenzieren.
Doch was ist dran an dieser schönen neuen Welt? Ist die Technologie wirklich so weit fortgeschritten, dass solche Erfolge in greifbarer Nähe liegen? Oder sind all diese Versprechungen doch nur Mittel zum Zweck – nämlich dem, Gelder und Akzeptanz für eine umstrittene Forschungsrichtung zu erlangen?
John Gearhart von der amerikanischen Johns Hopkins University sieht viele dieser Hoffnungen berechtigt: „Ich glaube in drei bis fünf Jahren könnten wir bereits mit klinischen Tests für Rückenmarksverletzungen, Parkinson und Herzkrankheiten beginnen.“ Dennoch schränkt auch er allzu überzogene Erwartungen ein: „Das wird Christopher Reeve noch nicht wieder zum Laufen bringen. Wir sind noch nicht gut genug, um Stammzellen zu nehmen und einfach all die unterschiedlichen Zell- und Gewebetypen im menschlichen Körper zu schaffen.“
Die embryonalen Stammzellen können sich zwar potenziell in fast jeden Zelltyp des Menschen differenzieren, doch von einigen wenigen Zellen in einer Petrischale zu einem komplexen und funktionsfähigen Organ ist es noch ein weiter Weg. Zwar lassen sich die embryonalen Stammzellen in vitro auf den richtigen Weg bringen, die endgültige Organform bestimmen jedoch die Zellen des umliegenden Gewebes. Bisher sind allerdings bei Tierversuchen nur tumorartige Wucherungen entstanden, die zwar aus dem richtigen Zelltyp bestanden, aber noch keine Ähnlichkeit mit einem Organ hatten. Und genau hier liegt das Problem: „Wenn man eine Transplantation macht, will man etwas Funktionierendes, nicht einen Tumor.“
Andererseits ist es immerhin bereits gelungen, einer durch einen Virusinfekt gelähmten Maus durch eine Injektion von menschlichen Neuronen ins Rückenmark wieder zur Mobilität zur verhelfen. Erste Erfolge könne die Genforscher also durchaus vorweisen. In der Diskussion um die ethische Vertretbarkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen kommt diesen Fortschritten eine Schlüsselrolle zu. Nur wenn die Forschungsziele erwiesenermaßen hochrangig sind, könnten sie auf lange Sicht eine Ausnahme im Embryonenschutz erreichen. In einer Stellungnahme der DFG heißt es dazu: „Diese allerdings kann sich nicht auf Heilungsversprechen allein beziehen, sondern setzt echte Chancen auf deren Realisierbarkeit voraus.“
Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Rechtsprechung von dieser Realisierbarkeit zu überzeugen wird wohl das wichtigste Ziel der Genforscher in der nächsten Zeit sein…
Stand: 21.08.2001