Wenn es darum geht, zukünftige Entwicklungen vorherzusagen, haben längst Wissenschaftler den Platz der Hellseher und Sterndeuter von einst eingenommen – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Zur Jahrtausendwende waren es vor allen anderen die Naturwissenschaftler und Ingenieure, die nach dem Bild der Welt im kommende 21. Jahrhundert gefragt wurden. Sie sind schließlich die Experten, kennen den aktuellen Stand der Forschung und müssen daher auch wissen, wie es weitergehen wird – oder?
Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen eher ein gegenteiliges Bild: Dem PC wurde mangelnde Nachfrage prognostiziert und doch geht heute kaum mehr etwas ohne ihn. Die scheinbar so unschuldige Grundlagenforschung an Bakterienenzymen führte zur umstrittenen Fähigkeit, das Genom zu manipulieren und die gepriesene Kernenergie brachte nicht nur Massenvernichtungswaffen ungeahnten Ausmaßes, sondern sorgt auch in ihrer friedlichen Nutzung für bislang ungelöste Probleme.
Problem Folgenabschätzung
Unsere Fähigkeit zur Folgenabschätzung ist offensichtlich so begrenzt, dass in vielen Fällen selbst in der Rückschau das Urteil schwer fällt: War die Erfindung des Autos oder Flugzeugs gut oder schlecht für die Welt? Wie steht es mit der Kernenergie oder der Nuklearmedizin? Um wie viel problematischer ist da der Blick in die Zukunft…
„Bei der Beantwortung der Fragen, wie die Menschen mit Robotern umgehen wollen, welchen Grad an Autonomie sie künstlichen Intelligenzen geben oder inwieweit sie sich auf ein genetisches Screening oder gar Design ihrer eigenen Kinder einlassen wollen, sind Laien mindestens ebenso Experten wie Roboterkonstrukteure, Gentechnologen oder Sozialtechniker“, meint Prof. Werner Remmert, Sprecher des interdisziplinären Forschungszentrums „Technik und Gesellschaft“ an der TU Berlin. Seiner Ansicht nach reicht eine rein naturwissenschaftliche Betrachtung schon deshalb nicht aus, weil an jeder technischen oder naturwissenschaftlichen Entwicklung immer auch gesellschaftliche und soziale Faktoren beteiligt sind. Und für diese sind die „im Elfenbeinturm sitzenden“ Naturwissenschaftler oft blind.
Oder wie es der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz ausdrückt: „Die Gefährdung der heutigen Menschheit entspringt nicht so sehr ihrer Macht, physikalische Vorgänge zu beherrschen, sondern ihrer Ohnmacht, das soziale Geschehen vernünftig zu lenken.“
Umgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten
Und noch ein anderer Aspekt schürt das Misstrauen gegenüber den Prognosen und Folgeneinschätzungen der Wissenschaftler: Typischerweise beruht wissenschaftliche Erkenntnis auf einem Theoriegebäude, das durch gezielte Experimente nach und nach bestätigt und ausgebaut oder aber widerlegt und modifiziert werden kann. Je komplexer die Systeme sind, mit denen Forscher arbeiten, desto winziger ist der Ausschnitt, den sie erfassen und untersuchen können. Und genau hier liegt das Problem. Jede Erkenntnis und jede Entscheidung über den weiteren Verlauf der Arbeiten ist zwangsläufig mit Unsicherheiten, mit Gebieten des Nicht-Wissens, behaftet.
Die entscheidende Frage ist daher, wie Wissenschaftler mit diesen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten umgehen. Verdrängen? Verschweigen? An die große Glocke hängen und Geldgeber verschrecken? Untersuchen und wertvolle Zeit verlieren? In einem Bericht über Ethik und die Verantwortung des Wissenschaftlers legt die Unesco den Finger in die Wunde: „Typischerweise haben Wissenschaftler wenig Übung darin, Dinge die sie nicht wissen oder die sich anders als geplant entwickeln könnten, zu kommunizieren.“
Im Klartext heißt dies nichts anderes, als dass mögliche Risiken oft gar nicht erst kommuniziert werden – mit möglicherweise fatalen Folgen…
Stand: 21.08.2001