Was war zuerst da? Diese Frage scheint sich als durchgehendes Muster durch alle Aspekte der Entstehung des Lebens zu ziehen. Noch während die Diskussion um die Zellmembran und deren Innenleben in vollem Gange ist, herrscht auch in Bezug auf die Pionierrolle der Proteine oder der Erbsubstanz DNA Uneinigkeit. Beide Verbindungen sind eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens, aber keine von beiden kann sich ohne die Anwesenheit des jeweils anderen vermehren.
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„Es ist ein klassisches Henne-und-Ei-Problem“, erklärt der Biochemiker David Bartel vom US-amerikanischen Whitehead Institute for Biomedical Research. „Die RNA wie die DNA besitzt die genetische Information um sich zu reproduzieren, braucht aber Proteine, um diese Reaktion zu katalysieren, Proteine wiederum können zwar diese Reaktionen katalysieren, sich aber nicht ohne die Information der DNA reproduzieren.“
Ribozym als eierlegende Wollmilchsau?
Ein Ausweg aus diesem Dilemma eröffnete sich möglicherweise im Jahr 1982, als Wissenschaftler der Harvard Universität eine spezielle Form von RNA-Molekülen entdeckten, die Ribozyme. Diese vereinen praktischerweise beide Funktionen in sich: Als RNA speichern sie genetische Information, wirken aber gleichzeitig auch als Multiplikatoren, indem sie Kopien ihrer selbst oder anderer RNA-Moleküle anfertigen können. Damit übernehmen sie im Prinzip die Funktion der aus Proteinen bestehenden Enzyme.
Nach Ansicht einiger Forscher, darunter auch David Bartel und Jack Szostak von der Harvard Universität, könnte damit das Henne-Ei-Problem gelöst sein. Denn möglicherweise hat es in der Frühzeit des Lebens eine reine „RNA-Welt“ gegeben, in der sämtliche Funktionen, die heute von Proteinen und DNA ausgefüllt werden, von RNA-Molekülen übernommen worden wären. Damit würde der Zwang zur gleichzeitigen Entstehung zweier komplexer Makromoleküle und ihr Zusammentreffen an einem Ort entfallen und so das Henne-Ei-Duo auf die Henne – oder das Ei – reduziert.
Die Bindung ist das Problem
Mittlerweile haben Bartel, Szostak und Kollegen Milliarden von unterschiedlichen RNA-Molekülen auf ihre Enzymqualitäten hin durchmustert und ganze Kohorten von verschiedenen Ribozymen im Labor produziert. Das Ergebnis ist allerdings eher gemischt: Die gefundenen Ribozyme schaffen es immerhin mit bis zu 95 Prozent Genauigkeit, die exakte Kopie einer RNA aus den Grundbausteinen neu zusammenzusetzen. Die Länge dieser Kopie ist aber auf nur etwa 14 Basenpaare begrenzt. Für ein sinnvolles Stück Erbinformation, ein echtes „Genwort“, reichen diese paar Buchstaben des genetischen Codes leider noch lange nicht aus, hier gelten 200 Basenpaare als Minimum.
Das Problem, so haben Bartel und Co. mittlerweile erkannt, liegt in der Bindung: Einmal angedockt sind die Ribozyme schnelle und robuste Kopiermaschinen, aber leider hält diese Bindung nicht lange genug, um eine komplette RNA zu reproduzieren – noch nicht. Denn die Forscher sind fest entschlossen, auch dieses Problem ihrer Labor-RNA-Welt zu lösen. Bartel ist sich der Schwierigkeiten ihres Unterfangens allerdings sehr bewusst: „Wir werden niemals im Stande sein, die Existenz einer RNA-Welt zu beweisen, weil wir nicht in der Zeit zurückreisen können – aber wir können die grundlegenden Eigenschaften der RNA untersuchen und sehen, ob diese mit einem RNA-Welt-Szenario kompatibel wären.“
Nadja Podbregar
Stand: 25.10.2013