Ende des 19. Jahrhunderts. Ein junger Abiturient sucht die physikalische Fakultät der Universität München auf, um den Physikprofessor Phillipp von Jolly um Rat zu fragen. Der Schulabgänger trägt sich mit dem Gedanken ein Physikstudium zu beginnen. Ob das sinnvoll sei, fragt er Jolly. Dieser rät dem Abiturienten ab. Jolly vertrat die Ansicht, dass in dieser Wissenschaft schon fast alles erforscht sei und dass es nur noch einige unbedeutende Lücken zu schließen gelte – viele Zeitgenossen teilten damals Jollys Überzeugung. Der Name des jungen Abiturienten: Max Planck. Der spätere Nobelpreisträger studierte wider alle damalige Vernunft doch Physik und begründete mit Albert Einstein ein Jahrhundert der Physik. Doch wie sieht die physikalische Welt nun im 21. Jahrhundert aus?
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Riskieren wir einen Blick in die Zukunft; das Higgs-Boson ist entdeckt und der Higgs-Mechanismus hat inzwischen seinen festen Platz im Standardmodell eingenommen. Wird man Abiturienten nun wieder, wie schon 130 Jahre zuvor, von einem Studium der Physik abraten, da möglicherweise schon „alles erforscht“ ist? Die Antwort ist ein klares „Nein“. Viele Fragen bleiben auch nach Erforschung des Higgs-Partikels in Teilchenphysik und Kosmologie noch offen (natürlich auch in anderen Teilgebieten der Physik).
Rätselhafter ‚Energiehaushalt’ des Universums
Selbst wenn die Physik das Geheimnis der Masse mittels des Higgs-Mechanismus gelöst hätte, so wäre damit noch längst nicht das Universum als Ganzes verstanden. Insbesondere der ‚Energiehaushalt’ des Universums gibt weiterhin viele Rätsel auf. Denn das Universum besteht insgesamt nur zu fünf Prozent aus sichtbarer Materie, jenem Stoff also aus dem alle Sterne, Planeten und auch wir Menschen aufgebaut sind und zu dessen Verständnis der Higgs-Mechanismus seinen Beitrag liefert. 95 Prozent des Universums bleiben damit im Dunkeln – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Universum besteht nach aktuellen Forschungserkenntnissen zu 25 Prozent aus so genannter ‚Dunkler Materie’ und zu 70 Prozent aus ‚Dunkler Energie’.
Zwei mysteriöse Substanzen, die ihrem Namen entsprechend vollkommen unsichtbar sind. Ausschließlich durch ihr Wirken können Forscher auf die Existenz dieser Substanzen schließen: ‚Dunkle Materie’ macht sich über ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar, ‚Dunkle Energie’ bewirkt, dass unser Universum heute beschleunigt expandiert. Für die ‚Dunkle Materie’ gibt es viele Kandidaten – zum Beispiel das leichteste Objekt aus der Riege der supersymmetrischen Partnerteilchen.
Supersymmetrie für Partnerteilchen
Die Theorie der Supersymmetrie postuliert für alle Bosonen und Fermionen die Existenz von Partnerteilchen, die sich lediglich im Wert des Eigendrehimpulses und der Masse von ihren ansonsten eineiigen Zwillingen unterscheiden. Falls es supersymmetrische Teilchen gibt, stehen die Chancen gut, dass sie mit dem neuen LHC entdeckt werden können. Woraus die ‚Dunkle Energie’ besteht ist hingegen völlig unklar.
Einen Beitrag zur Erklärung des Wirkens der ‚Dunklen Energie’ können partiell auch das ‚naive’ Modell des Higgs-Äthers und der Wert seiner ‚Zähflüssigkeit’ leisten. Der Beitrag wartet aber leider mit einem falschen Vorzeichen auf; außerdem ist er um einen Faktor 1.050 zu groß. Dieser Erklärung nach hätte das Universum lediglich die Größe eines Fußballs erreicht und wäre dann wieder kollabiert.
Fragen über Fragen
Auf dem Weg zu einer umfassenden physikalischen Erklärung des Universums als Ganzem wird das Standardmodell wohl auch nach Entdeckung des Higgs-Bosons nur eine Etappe bleiben. Theorien der ‚Supersymmetrie’ und von so genannten ‚Extra Dimensionen’ stehen jenseits des Standardmodells bereit, um Erklärungslücken bei fundamentalen Fragen zu schließen.
Gibt es eine Urkraft im frühen Universum und sind unsere heutigen vier Kräfte nur verschiedene Erscheinungsformen dieser einen Urkraft bei niedrigen Energien? Was ist die Struktur der Raumzeit; leben wir eigentlich in mehr als drei Raumdimensionen, die nur zu klein sind, als dass wir sie erleben können? Selbst nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens am LHC gibt es weitere große Herausforderungen für die Teilchenphysik im 21. Jahrhundert zu deren Bewältigung der LHC hoffentlich erste Hilfestellungen leistet.
Stand: 13.04.2007