Weniger bekannt als ihre Heilkunde ist heute, dass sich Hildegard von Bingen im Mittelalter auch als Poetin und Musikerin einen Namen gemacht hat. So verfasste Hildegard diverse Gedichte, Kirchenlieder und ein Singspiel für den Gottesdienst, wie eine überlieferte Sammlung mit über 70 liturgischen Gesängen und einem liturgischen Drama belegt. Bei diesen Werken handelt es sich im Grunde um gesungene Gebete und Psalmen. Ihr geistliches Singspiel gilt als das erste dieser Art in Europa.

Musikalisch ungewöhnlich …
Ihre Musik bestand im Wesentlichen aus gregorianischen Chorälen in lateinischer Sprache wie sie damals in der katholischen Kirche und in den Benediktiner-Klöstern üblich waren. Die von Hildegard komponierten Melodien zeichneten sich jedoch durch ein ungewöhnlich großes Spektrum an Tönen, Klängen und Intervallen aus, die zusammen außergewöhnliche Harmonien und Symphonien ergaben.
„Üblich waren Melodien, die jeder Silbe einen Ton zuordneten. Hildegard aber unterlegte häufig einzelne Silben mit mehreren Tönen“, sagt der Historiker Ralf Lützelschwab. Sie unterteilte den Text auch nicht wie üblich in Strophen. Einen Refrain gab es in ihren Liedern ebenfalls nicht, einzelne Melodie-Passagen wurden jedoch mit anderem Text wiederholt.
…aber nicht musikalisch unerfahren
Möglich wurden diese musikalischen Ausbrüche den Überlieferungen zufolge, weil Hildegard keine klassische Bildung im Sinne von Strukturen der Musik erhalten hatte. „Sie sagt von sich, dass ihr das handwerkliche Rüstzeug zum Komponieren gefehlt hat“, schrieb die Nonne Christiane Rath von der Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard in einer Analyse von Hildegards musikalischem Wirken. Stattdessen habe sie intuitiv komponiert, ohne Rücksicht auf musikalische Gesetze.