Wenn Altai-Bewohner Urlaub machen, legen sie sich am liebsten in einen Sud aus gekochtem Hirschgeweih. Was für Europäer merkwürdig klingt, ist in Kasachstan oder Russland das Pendant zu Ayurveda-Massagen und Luxus-Spa. Pantokrin heißt die geheimnisvolle Substanz, die für Gesundheit, Potenz und ein langes Leben sorgen soll und aus dem Geweih von Maralen, asiatischen Riesenhirschen, die zu den Wapiti-Hirschen gehören, gewonnen wird.
Die Kraft im Hirschgeweih
Als Panten werden die jungen Geweihe bezeichnet, die zu Beginn des Wachstums noch mit einer samtigen Hautschicht überzogen sind. Schon seit Jahrhunderten gibt es die Tradition im Altai, die Panten als etwas besonderes anzusehen und zu nutzen. Das Pantokrin, das in der Regel als mit Alkohol versetzte Essenz vertrieben wird, hat vor allem in Korea und China einen riesigen Markt und gilt nahezu als Allheilmittel.
Um das Pantokrin zu gewinnen, werden die männlichen Marale eingefangen und um ihr Geweih erleichtert. In Russland und Kasachstan gibt es mehrere Dutzend Maral-Farmen, in denen mehrere Tausend Hirsche nur zu diesem Zweck gehalten werden. In der Regel leben die Hirsche in riesigen Freigehegen mit Wald und Wasserläufen, in denen sie das Jahr über unbehelligt leben. Im Juni oder Juli dagegen werden die Hirsche zusammen getrieben, einzeln eingefangen und in einem Stand eingesperrt, in dem sie, rechts und links von zwei stabilen, gepolsterten Brettern oder Balken gehalten, wie in einer Schraubzwinge fixiert werden.
Rabiate Prozedur
Dann beginnt eine martialische Prozedur, den Hirschen werden die Geweihe ohne Betäubung abgesägt. Das dabei aus dem durchbluteten Bast, der feinen, um das Geweih herumwachsenden Hautschicht, fließende Blut, gilt bei den Altai-Bewohnern als Delikatesse und wird möglichst noch warm getrunken. Etwa ein bis zwei Liter Blut verliert der Hirsch beim Absägen des Geweihs.
Wird das Absägen professionell durchgeführt, erhalten die Tiere danach eine Spritze mit einem Antibiotikum, das vor Entzündungen schützen und die Heilung beschleunigen soll. Der Hirsch verlässt den Anbindestand in der Regel fluchtartig und auf eigenen Beinen.
Baden, trinken oder beides
Die Arten, das Geweih zu verwerten, sind je nach Gegend ganz unterschiedlich. Die einen kochen die Hirschgeweihe im Ganzen aus. In dem Sud kann dann gebadet werden. Die anderen schneiden das Geweih in kleine Scheiben und fügen sie so stückchenweise und in kleinen Portionen dem Badewasser hinzu.
In beiden Fällen soll das Bad in dem Sud aus Hirschgeweih die Abwehrkräfte stärken und für Potenz und Lebenswillen sorgen. Wer sich nicht mit dem Bad begnügen will, kann auch noch gemahlenes Hirschgeweih mit nach Hause nehmen, oder eben das Pantokrin, in kleine Flaschen abgefüllt.
Trotz der rabiaten Methode, die Geweihe einfach abzusägen, verlieren die Hirsche ihren Kopfschmuck auch auf natürliche Weise. Im Herbst werfen die Marale wie viele Hirsch-Arten ihr Geweih regelmäßig ab. Im nächsten Jahr wächst dann ein neues, in der Regel größeres Geweih nach.
Stand: 12.09.2009