Nicht bei allen Patienten bringen die etablierten Therapiemaßnahmen jedoch den gewünschten Erfolg. So spricht rund die Hälfte der Betroffenen bei der ersten Behandlung mit Antidepressiva nicht auf die Therapie an. Oft müssen verschiedene Mittel durchprobiert werden, um überhaupt eine Wirkung zu erzielen – und selbst dann wirken bei einem Drittel die Medikamente nur unzureichend.
Bei etwa zehn Prozent aller Betroffenen schlägt die Therapie gar nicht an: Trotz Medikamenten oder Psychotherapie kommen diese Patienten über zwei Jahre lang nicht aus ihrer Depression heraus. Experten sprechen dann von einer therapieresistenten Depression. Wissenschaftler fahnden deshalb immer wieder nach besseren Behandlungsmöglichkeiten.
Experiment Hirnstimulation
Thomas Schläpfer und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Bonn erforschen, wie die Stimulation bestimmter Hirnregionen mit schwachen elektrischen Impulsen Menschen mit schwersten Depressionen helfen kann. Bei Erkrankungen wie Parkinson hat sich die sogenannte tiefe Hirnstimulation (THS) bereits bewährt. Patienten werden dafür dünne Elektroden implantiert, über die ein Impulsgeber Signale an das Gehirn sendet. Das Prinzip ist ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher.
Erste klinische Studien zeigen sich vielversprechend: Unter anderem scheint die Stimulation eines Teils des Belohnungszentrums, dem Nucleus accumbens, die Symptome der Krankheit deutlich mildern zu können – und zwar dauerhaft. In diesem Bereich befinden sich unter anderem Rezeptoren für den Botenstoff Dopamin. Werden sie stimuliert, löst das die Erwartung eines Glücksgefühls aus.
Nur rund 140 Patienten mit einer psychiatrischen Diagnose sind weltweit bisher solche „Hirnschrittmacher“ eingesetzt worden. Die Anwendung bei Depression befindet sich im experimentellen Stadium – die Bonner Forscher behandeln Betroffene derzeit ausschließlich im Rahmen von Studien.
Effektivere Therapie dank Biomarkern
Unterdessen suchen Genetiker und Molekularbiologen nach Biomarkern, die die Therapie mit Antidepressiva effektiver machen könnten. Warum etwa wirken manche Mittel bei einem Patienten gut, bei dem anderen hingegen nur stark verzögert und bei dem nächsten gar nicht? Die Untersuchung biologischer Merkmale könnte künftig dabei helfen, die Behandlung individuell zuzuschneiden – und unter anderem Informationen über die nötige Dosierung liefern.
Erst kürzlich haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München einen Test entwickelt, mit dem Ärzte aus einem Tropfen Blut die Stärke der Blut-Hirn-Schranke ihres Patienten bestimmen können. Diese Barriere muss jedes Antidepressivum passieren, um zu seinem Einsatzort an den Synapsen zu gelangen. Wie gut ein Medikament vom Blut ins Gehirn gelangt, hängt dabei auch von bestimmten Genvarianten ab. Dank des inzwischen auf dem Markt eingeführten Tests können Betroffene identifiziert werden, deren Blut-Hirn-Schranke eher wenig durchlässt – und von vornherein mit höheren Dosen behandelt werden.
Unterschätzter Faktor Umwelt?
Forscher um Silvia Poggini vom Istituto Superiore di Sanità in Rom verfolgen einen anderen Ansatz. Sie haben als Einflussfaktor für die Wirkung von Antidepressiva nicht die Gene im Blick, sondern die Umwelt. Erst kürzlich fand das Team bei Experimenten mit Mäusen Hinweise darauf, dass die Lebenssituation entscheidend darüber mitbestimmt, ob die Medikamente wirken.
„Offenbar versetzen die Mittel das Gehirn lediglich in einen Zustand, in dem es möglich wird, sich zu erholen. Doch ob das gelingt, entscheiden äußere Umwelteinflüsse. Um ein Analogon zu verwenden: Die Antidepressiva setzen den Patienten in ein Boot. Er kann die Fahrt aber nur genießen, wenn die See nicht zu rau ist“, sagt Poggini.
Halluzinogen mit Potenzial
Auch in Sachen neuer Wirkstoffe tut sich etwas. Psychiater erforschen derzeit unter anderem das Potenzial von Hormonen, die sich direkt auf das Stresssystem des Gehirns auswirken. Außerdem sind sie auf eine berüchtigte Partydroge aufmerksam geworden: das Halluzinogen Ketamin, in der Szene bekannt als „Special K“.
Die stark psychoaktive Substanz kommt in der Medizin vor allem in der Notfallmedizin zum Einsatz, als Schmerzmittel und Anästhetikum. Doch der Wirkstoff vermag auch schwere Depressionen akut zu lindern. Er wirkt sich anders als viele gängige Antidepressiva sofort spürbar positiv auf den Gemütszustand aus, darauf weisen wissenschaftliche Studien hin. Der schnell eintretende Effekt macht das Mittel vor allem für die Behandlung suizidgefährdeter Patienten interessant. In den USA wird die Ketamin-Therapie deshalb bereits von einigen Zentren angeboten.
Forscher versuchen nun, den genauen Wirkmechanismus der Substanz zu entschlüsseln. Mit diesem Wissen könnten sie eine Variante des Stoffs entwickeln, die ähnlich wirkt aber weniger gefährlich ist – zum Beispiel keine Wahnvorstellungen oder Suchtprobleme auslöst.
Daniela Albat
Stand: 30.09.2016