Ein weiterer Anwendungsbereich für medizinische Hydrogele wird immer mehr das Tissue-Engineering – die Züchtung von Geweben und Organen im Labor. Solche „Retorten“-Organe könnten eines Tages, so die Hoffnung vieler Mediziner, kranke und zerstörte Organe ersetzen und Transplantationen verträglicher machen. Denn anders die ohnehin knappen Spenderorgane können solche Laborzüchtungen aus den Zellen des Patienten entstehen – eine Abstoßung wird damit verhindert.
Wachstums-Schablone für neue Organe
Während erste Gewebe aus einzelnen Zellen schon länger im Labor hergestellt werden können, ist die Züchtung ganzer Organe eine deutlich größere Herausforderung. Denn hier muss das komplexe Gefüge aus verschiedenen Zellen, Blutadern, Nerven und Drüsen auch in seiner dreidimensionalen Struktur dem des Organs entsprechen. Um in die richtige Form zu kommen, werden die Zellen auf Gerüsten gezüchtet, in neueren Ansätzen kommen dabei sogar 3D-Drucker zum Einsatz.
Als Gerüst für diese Organzüchtung sind Hydrogele in besonderer Weise geeignet. Denn sie können durch ihre Fähigkeit zur Wasserbindung die Zellen feucht halten und mit Nährstoffen versorgen, gleichzeitig aber geben sie durch ihre Festigkeit die Form vor. Eine Möglichkeit dafür sind Hydrogele auf Basis von Nanozellulose, einem aus Holz gewonnenen Polymer. Sie können mit einem speziellen 3D-Drucker in beliebige Form gebracht und dann ausgehärtet werden.
Dieses Grundgerüst lässt sich dann mit körpereigenen Zellen und Wirkstoffen bestücken, um biomedizinische Implantate zu erzeugen. Wenn man beispielsweise Knorpelzellen in das Gerüst integriert, können so Implantate für Menschen mit Knorpelerkrankungen oder Knorpelfehlbildungen entstehen – beispielsweise bei einer angeborenen Ohrmuschelfehlbildung oder bei Gelenkschäden. „Auch Wirkstoffe, die das Wachstum der Knorpelzellen begünstigen oder Gelenkentzündungen lindern, lassen sich in das Hydrogel einbauen“, erklärt Michael Hausmann von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa.
Herz aus dem 3D-Drucker
Andere Wissenschaftler nutzen Hydrogele aus Gelatin oder Kollagen, um beispielsweise Eierstöcke, Haut oder Herzkammern im Labor zu züchten. Einem Team um Tal Dvir von der Universität Tel Aviv ist es mithilfe solcher Hydrogele und induzierten Stammzellen im Jahr 2019 sogar gelungen, ein ganzes Herz quasi in der Petrischale entstehen zu lassen. „Es ist das erste Mal, dass ein vollständiges Herz mitsamt Zellgewebe, Blutgefäßen und Ventrikeln gedruckt wurde“, erklärt Dvir. „Momentan ist unser 3D-Herz zwar noch klein, in etwa so groß wie ein Hasenherz.“ Mit der gleichen Technologie lasse sich aber auch ein größeres Herz herstellen.
Das Besondere an ihrem Ansatz: Sowohl das stützende Hydrogel als auch die darauf heranwachsenden Zellen stammten aus biologischem Material eines Menschen. Dafür hatten die Forscher den Spendern Fettgewebe aus dem Bauchraum entfernt. Die daraus gewonnenen Zellen versetzten sie durch Reprogrammierung wieder in den undifferenzierten Stammzellzustand zurück, das Kollagen und die Glykoproteine der extrazellulären Matrix bildeten die Grundlage für das Hydrogel. Dies könnte künftig sicherstellen, dass ein solches Organ aus den körpereigenen Materialien des Empfängers entsteht und so perfekt kompatibel ist.
Hydrogel als „Gussform“
Während aber das Herz von Dvir und seinem Team funktionell noch kein vollwertiges Ersatzorgan ist, ist ein Team um Andrew Lee von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh schon einen Schritt weiter: Sie haben 2019 eine schlagende Herzkammer auf Basis von reprogrammierten Zellen, 3D-Druck und einem Hydrogel erzeugt. Kern dieses Erfolgs war die Fähigkeit, selbst die Mikrostrukturen des Organs korrekt nachzubilden.
Möglich wurde dies durch den besonderen Einsatz eines Hydrogels: Die zähe Masse bildet eine Art Gussform, in die die die Lösung aus Kollagen und Herzmuskel-Stammzellen mittels 3D-Druck eingefüllt wird. Das Hydrogel- Stützgerüst sorgt dafür, dass das Kollagen bis zum Erhärten nicht aus der Form gerät und dient zudem als Platzhalter für Poren und Hohlräume. Ist das Kollagen ausgehärtet, wird der gesamte Block auf 37 Grad erwärmt, wodurch das Hydrogel flüssig wird und herausläuft. Übrig bleibt das fertige Organgerüst, das nun in einer Nährlösung kultiviert wird.
„Nach vier Tagen begannen die Ventrikel sichtbar zu kontrahieren und nach sieben Tagen schlugen sie synchron“, berichten die Forscher. Nähere Analysen ergaben, dass die Zellen eine dichte Schicht aus miteinander vernetzten Muskelzellen gebildet hatten und dass sie die Herzkammer bei Kontraktion wie beim Pumpen dehnten und zusammenzogen.
Noch steht die Organzucht im Labor am Anfang, aber schon jetzt ist klar, dass Hydrogele dabei eine Schlüsselrolle spielen: Ohne sie ist die Zucht anatomisch korrekt geformter und funktionsfähiger Gewebe und Organe kaum denkbar.