Mittwoch, 16.März, Fukushima. Der Kampf um die Reaktoren wird immer verzweifelter. Aus Reaktor 3 steigt gegen 08:30 Uhr Ortszeit Rauch auf, gleichzeitig nimmt die Radioaktivität erneut stark zu. Tepco muss kurzzeitig auch ihre letzten verbliebenen Arbeiter aus dem Kontrollraum 3 abziehen, da sie dort sonst akut gesundheitsgefährdenden Strahlendosen ausgesetzt wären. Am Werkstor des Geländes wird eine Strahlung von zehn Millisievert pro Stunde gemessen. Ein Mensch kann dieser Dosis nur rund zehn Stunden lang ausgesetzt bleiben, bevor Übelkeit und erste Symptome der Strahlenkrankheit auftreten. In unmittelabrer Nähe der Anlagen jedoch registrieren die Messinstrumente kurzzeitig sogar Werte von 1.000 Millisievert pro Stunde.
Verzweifelter Kampf trotz Strahlenschäden
Der japanische Fernsehsender NHK berichtet am Vormittag, dass die Regierung die erlaubte Jahreshöchstdosis für Arbeiter in Kernkraftwerken von 100 Millisievert pro Jahr auf 250 Millisievert hochgesetzt hat. Dies soll die Fortführung der Arbeiten im Atomkraftwerk Fukushima ermöglichen. Unzweifelhaft ist für viele Experten jedoch jetzt schon, dass die 50 verbliebenen Arbeiter vermutlich bereits gefährlich verstrahlt sind. Hinzu komt, dass nahezu alle Arbeiten, vom Ablesen der Messinstrumente bis zum Aufdrehen der Ventile , nun per Hand geleistet werden müssen. Die Steuerungssysteme sind mit dem Zusammenbrechen der Stromversorgung größtenteils ausgefallen.
„Das sind wirklich arme Schweine. Diese Menschen haben mit Sicherheit schon erhebliche gesundheitliche Schäden“, erklärt Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, gegenüber n-tv. Denn die Strahlenschutzanzüge und Gasmasken helfen zwar gegen die radioaktiven Iod- und Cäsiumpartikel, die nur bei direktem Kontakt, Verschlucken oder Einatmen gesundheitsschädlich sind. Gegen die ebenfalls freiwerdende Gammastrahlung aber schützen sie nicht. Unklar bleibt, woher die erhöhte Strahlung stammt. Sind es immer noch Radionuklide aus dem Abklingbecken von Block 4 oder ist inzwischen einer der überhitzten Reaktorkerne undicht geworden?
Ist Reaktor 3 undicht?
Der über Block 3 aufsteigende Rauch rückt jetzt diesen Reaktor in das Zentrum der Aufmerksamkeit und Besorgnis. In Tokio erklärt Staatssekretär Yukio Edano am Mittwochmittag vor der Presse: „Es besteht der Verdacht, dass der Druckbehälter vom Reaktor 3 beschädigt worden sein könnte.“ Dennoch bestehe nicht die Absicht, die Evakuierungszone von bisher 20 Kilometer auszuweiten. Zwar sinkt die Radioaktivität am Rand der Anlage allmählich auf 1,5 Millisievert pro Stunde ab, in den Kontrollräumen 3 und 4 und nahe den Reaktorblöcken liegen sie jedoch noch immer bei 600 bis 800 Millisievert pro Stunde.
Im Verlauf des Nachmittags kristallisiert sich heraus, dass offenbar nicht der Reaktorkern von Block 3 die Quelle von Rauch und Strahlung ist, sondern vielmehr das auch in diesem Reaktor mit abgebrannten Brennstäben bestückte Abklingbecken. Um den auch hier vermutlich nahezu trocken gefallenen Kernbrennstoff zu kühlen, versucht das Militär nun Wasser mit Hilfe von Hubschraubern über dem Reaktor 3 abzuwerfen. Doch die Helikopter müssen noch vor Erreichen der Abwurfposition umkehren, die Strahlung ist zu hoch.
Der Kaiser spricht
20:00 Uhr Ortszeit, Tokio. Wie ernst die Lage in Fukushima tatsächlich ist, zeigt ein absolut historisches Ereignis am Abend des sechsten Tages nach dem katastrophalen Erdbeben: Zum allerersten Mal in der Geschichte des Landes spricht ein japanischer Kaiser direkt über das Fernsehen zu seinem Volk. Der 77-jährige Kaiser Akihito erklärt mit sanfter, leiser Stimme: „Es ist jetzt wichtig, dass wir die schwierigen Tage, die vor uns liegen, gemeinsam durchstehen. Ich bete, dass wir für einander sorgen und diese Tragödie überwinden.“ Er sei zutiefst besorgt über die Situation in Fukushima Daiichi, so der Monarch in seiner knapp sechs Minuten langen Ansprache.
Einige Japaner verlässt beim Hören dieser Worte endgültig die sprichwörtliche Disziplin und Selbstbeherrschung. „Die Furcht und Wut der Menschen in Fukushima hat ihren Siedepunkt erreicht, erklärt Yuhei Sato, Provinz-Gouverneur von Fukushima, anschließend im Sender NHK.
Nadja Podbregar
Stand: 18.03.2011