Neurowissenschaften

„Ich bin nicht gut genug“

Folgen eines negativen Selbstbilds

Kind traurig
Wer als Kind übermäßig stark kritisiert wurde, entwickelt später eher ein negatives Selbstbild. © David de Lossy/ iStock

Doch längst nicht alle Menschen, die sich selbst unrealistisch wahrnehmen, haben dabei mit Selbstüberschätzung zu kämpfen. Genauso gibt es diejenigen, die nur eine sehr geringe Meinung von sich selbst haben, obwohl das vielleicht gar nicht angebracht wäre. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Eltern, Freunde und Lehrer sie schon früh im Leben übermäßig stark für ihr Verhalten, ihre Leistungen oder ihr Äußeres kritisiert haben. Das Gefühl, den an sie gerichteten Erwartungen nicht zu entsprechen, kann schließlich dazu führen, dass sich Betroffene wertlos und wenig liebenswürdig fühlen.

Negativ macht krank und krank macht negativ

Ein negatives Selbstbild kann unseren Alltag erheblich erschweren. Zum Beispiel indem wir uns oft wenig zutrauen und deswegen wichtige Chancen ungenutzt lassen oder indem wir Beziehungen zu anderen meiden, um uns vor weiterer Abwertung zu schützen. Zudem kann ein negatives Selbstbild auch eine Reihe psychischer Erkrankungen begünstigen. Umgekehrt können aber auch die psychischen Erkrankungen dafür sorgen, dass unser Selbstbild sich dramatisch verschlechtert, obwohl es vorher weitestgehend unauffällig war.

In diesem Fall gilt das negative Selbstbild dann als Symptom der jeweiligen Erkrankung. „Eine psychische Krise kann den Selbstwert stark beeinträchtigen. Betroffene fragen sich häufig, warum es zu der Erkrankung kam und was sie falsch gemacht haben. Zu den Schuldgefühlen kommt Scham, da oft noch die falsche Überzeugung herrscht, dass psychische Krankheiten ein Zeichen von Schwäche sind“, erklärt Psychologin Friederike Reuver im Blog der LIMES Schlosskliniken.

Depression
Auch mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen geht häufig ein negatives Selbstbild einher. © bugphai/ iStock

Von wertlos bis unsympathisch

Das klassischste Beispiele für eine psychische Erkrankung, die am Selbstbild nagt, ist die Depression. Betroffene betrachten sich selbst häufig als wertlos und als Versager. Gleichzeitig sind sie davon überzeugt, dass andere Menschen sie auch so wahrnehmen müssen. Im schlimmsten Fall gipfeln die Selbstzweifel und Schuldgefühle irgendwann in Suizidgedanken.

Bei Patienten mit einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung äußert sich ein negatives Selbstbild vor allem darin, gesellschaftlichen Interaktionen aus dem Weg zu gehen. Sie hoffen so, das Risiko von Ablehnung und Kritik zu schmälern. „Sie halten sich selbst für sozial ungeschickt, unsympathisch und den anderen unterlegen. Sie neigen dazu, ruhig und schüchtern zu sein, weil sie glauben, sie könnten etwas Falsches sagen“, erklärt Mark Zimmerman vom Rhode Island Hospital.

Unter einem stark schwankenden Selbstbild leiden wiederum Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Das führt dazu, dass sich auch ihre Ziele, Werte und Meinungen innerhalb kürzester Zeit drastisch wandeln. Insgesamt fällt es Borderline-Patienten daher sehr schwer, sich selbst einzuschätzen, weshalb sie sich häufig weit entfernt von sich und ihrem eigenen Körper fühlen.

Depersonalisation
Für Menschen mit Depersonalisation und Derealisation fühlt sich alles unwirklich an. © Bdoguitar/CC-by-sa 4.0

Eine verschleierte Welt

In einer noch extremeren Form trifft diese Selbstentfremdung Menschen, die unter Depersonalisation beziehungsweise Derealisation leiden. Durch Erstere fühlen sie sich losgelöst von ihrem Körper und Geist – als beobachteten sie ihr eigenes Leben und ihren Körper von außen. Letztere lässt Betroffene die Welt um sich herum als unwirklich empfinden. So als befänden sie sich in einem Traum oder seien von einem Schleier umgeben, der ihre Umgebung in ungreifbare Ferne rückt. Eine derart veränderte Wahrnehmung macht auch ein realistisches Selbstbild zunehmend kompliziert.

Auslöser für eine solche verzerrte Wahrnehmung können starker Stress oder Traumata wie der Tod eines geliebten Menschen sein. Die meisten erleben die Symptome nur vorübergehend, in seltenen Fällen manifestieren sie sich langfristig. Um die Selbstentfremdung zu überwinden, empfehlen Therapeuten unter anderem starke Sinnesreize, die einen wieder in die Realität zurückholen sollen – zum Beispiel eiskaltes Wasser oder Kneifen.

Therapie
Manchmal hilft nur eine Therapie, um ein negativ verzerrtes Selbstbild wieder gerade zu rücken. © Sladic/ iStock

Wege zum realistischen Selbstbild

Generell kann es im Falle eines negativ verzerrten Selbstbildes helfen, sich wieder mehr mit der Realität in Einklang zu bringen. Ein erster Schritt besteht darin, sich darüber bewusst zu werden, wie genau man eigentlich über sich selbst denkt und ob die eigene Sichtweise möglicherweise verfälscht sein könnte. Eventuell merkt man so im Laufe der Zeit, dass man sich in verschiedenen Situationen selbst schlechtredet, obwohl niemand sonst dieser Meinung zu sein scheint.

Um das negative Bild, das man von sich hat, wieder realistischer zu gestalten, kann es am Anfang auch helfen, eine Liste mit Eigenschaften zu schreiben, die man an sich mag. Vielleicht fragt man auch nahestehende Personen danach und fügt ihre Antworten der Liste hinzu. Das eigene Selbstbild zu ändern, kann jedoch ein langwieriger Prozess sein. Schließlich muss man dafür zunächst einige feste Überzeugungen über Bord werfen. In manchen Fällen gelingt ein solcher Wandel nur mithilfe einer Psychotherapie.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Das verzerrte Ich
Wenn unser Selbstbild von der Realität abweicht

Der Realität auf der Spur
Unsere eigene Wahrnehmung als Zerrlinse

Ich und die anderen
Wieso wir uns oft überschätzen

„Ich bin nicht gut genug“
Folgen eines negativen Selbstbilds

Mein entstelltes Ich
Wenn der Spiegel lügt

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