Medizin

Illusion Frischfleisch

„Unter Schutzatmosphäre verpackt“

Frisches Fleisch © David Benbennick / GFDL

Manche Dinge in Deutschland sind klar geregelt: Der Kanzler wird vom Bundestag gewählt, auf den Straßen herrscht Rechtsverkehr und Frischfleisch hat eine typische rosige Farbe, an der man es sofort erkennen kann. Dass zumindest letzteres immer häufiger reine Fiktion ist, hat die Verbraucherschutzorganisation foodwatch im August 2010 in einer Studie enthüllt.

Sauerstoff als Helfer

Danach haben Fleischerzeuger und Handel einen ebenso wirkungsvollen wie legalen Weg gefunden, verpacktes Fleisch auch über längere Zeit schlachtfrisch aussehen zu lassen: Sauerstoff (02). In der Luft, die wir einatmen ist dieser mit 20,946 Volumen-Prozent vertreten. Über die Lungen und den Blutkreislauf gelangt er auch in die Muskulatur des Menschen. Dort spielt er beispielsweise bei der Energieproduktion eine wichtige Rolle. Sauerstoff sorgt aber auch dafür, dass durch Oxidation des Muskelfarbstoffs Myoglobin zu „Oximyoglobin“ Muskelfleisch seine charakteristische rote Farbe erhält. Bei Tieren ist das nicht anders.

Wird nun ein Schwein oder Rind geschlachtet, fehlt schon bald der O2-Nachschub und das zunächst rosige Fleisch verwandelt sich in eine dunkelrote oder sogar bräunlich-graue unansehnliche Masse. Solches Fleisch irritiert die Konsumenten und schreckt sie vom Kauf ab.

Fleisch verpackt in „Schutz-Atmosphäre“ © Corpse Reviver / GFDL

„Modified Atmosphere Packaging“

Genau das verhindern die findigen Lebensmittelchemiker mit ihrer trickreichen Verpackungsmethode, die sich „Modified Atmosphere Packaging“, kurz MAP, nennt. Denn in den festen Kunststoffschalen mit Schweinebraten oder Gehacktes, die man heutzutage in jedem Supermarkt findet, steckt eine so genannte „Schutzatmosphäre“. Diese besteht meist aus Gas-Mischungen, die bis zu 80 Prozent Sauerstoff enthalten, der Rest ist Kohlendioxid. Diese Sauerstoffdusche stellt sicher, dass das Fleisch über die gesamte Haltbarkeitsdauer seine bei den Verbrauchern beliebte rote Farbe behält – die perfekte Illusion. Das Ganze ist völlig legal, ein Hinweis „unter Schutzatmosphäre verpackt“ auf der Ware reicht völlig aus.

Sauerstoff macht ranzig und zäh

Die Methode hat jedoch möglicherweise brisante Folgen – sowohl für das Fleisch als auch für die zumeist ahnungslosen Konsumenten. „Hochgradige Sauerstoffgehalte in ‚Schutzatmosphäre‘ werden ausschließlich zu dem Ziel eingesetzt, verpacktes Fleisch über Tage hinweg äußerlich als hellrot und somit ‚frisch‘ erscheinen zu lassen. Diese gezielte Irreführung wird verschärft durch eine wissenschaftlich erwiesene Zunahme von Zähigkeit und Ranzigkeit des Fleischs bis hin zu vermehrter Bildung gesundheitlich bedenklicher Cholesteroloxide“, schreibt foodwatch in seiner Studie „Fleischmarkt unterm Sauerstoffzelt“.

Die Cholesteroloxide – im Fachjargon auch Cholesterinoxidationsprodukte (COP) genannt – stehen beispielsweise im Verdacht krebsauslösende und gefäßschädigende Wirkung zu haben. Doch so genau weiß das bis heute niemand. Denn ihre Gefahren für den menschlichen Organismus sind nicht abschließend untersucht. Dies hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im August 2010 in einer Stellungnahme zur foodwatch-Studie zugegeben.

SB-Fleischtheke © Ralf Roletschek / GFDL

Kein Grund zur Sorge?

In einer ersten Einschätzung des COP-Risikos kamen die BfR-Wissenschaftler erstaunlicherweise trotzdem zu dem Schluss, dass keine Gefährdung des Verbrauchers durch COP aus verpacktem Fleisch ausgeht. „Fest steht aber, dass die zusätzliche Menge an COP, die Verbraucher über Fleisch aus sauerstoffangereicherten Verpackungen aufnehmen, sehr gering ist. Ein gesundheitliches Risiko durch diese zusätzlichen Mengen an Cholesterinoxidationsprodukten besteht nach derzeitigen Erkenntnissen nicht“, so Andreas Hensel, Präsident des BfR.

Aufpeppen, täuschen und verkaufen

Doch selbst wer keine Braten oder Schnitzel in Plastikschalen kauft, ist vor dem Sauerstoff-Schwindel nicht sicher. Ganz im Gegenteil. Denn nach Recherchen von Verbraucherschützern wird in letzter Zeit auch unverpacktes Fleisch immer häufiger einer besonderen Überdruck-Behandlung mit reinem Sauerstoff unterzogen. Ziel auch hier: Aufpeppen, um den Käufer zu überlisten und die Produkte besser verkaufen zu können.

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Dietern Lohmann
Stand: 26.11.2010

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Inhalt des Dossiers

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