Bei seinen Untersuchungen kommt Virchow zu dem Schluss, dass alle Zellen durch Zellteilung aus anderen Zellen hervorgehen – und nicht etwa aus einem unförmigen Urschleim, wie es Schwann noch postuliert hatte. „Omnis cellula e cellula“ – „Jede Zelle geht aus einer Zelle hervor“ – schreibt er 1858 in seinem berühmten Aufsatz zur Zellularpathologie.
Außerdem stellt er fest: Die Zelle ist nicht nur eine elementare, sondern sogar die kleinste lebende Einheit eines jeden Organismus. Ganz so wie das Atom, das damals als kleinste unteilbare Einheit der Materie gilt. Diese Grundeinheiten des Lebens organisieren sich im Körper zu Gefügen und bilden dabei sowohl einfache als auch komplexer strukturierte Gewebe wie Muskeln, Nerven und Blut aus.
Grundbaustein des Gesunden – und des Kranken
Mit diesen beiden Grundsätzen hat Virchow die Zelltheorie von Schwann und Schleiden konsequent zu Ende entwickelt. Doch er denkt noch weiter. Er fragt sich: Was passiert im Körper, wenn jemand krank ist? Wieder legt er alles Mögliche unter sein Mikroskop und beobachtet: Manche Zellen sehen bei kranken Menschen anders aus als bei gesunden. Die Ursache von Krankheiten ist demnach in diesen kleinen Bausteinen des Lebens zu suchen.
Für Virchow ist das eine nur logische Erkenntnis: „Die Krankheit hat keine andere Einheit als das Leben, nämlich die einheitlich lebende Zelle“, schreibt er. „Sie ist gewissermaßen die Person des Lebens im Gesunden wie im Kranken. Und wenn Paracelsus vorahnend von einem Leib der Krankheit gesprochen hat, so können wir jetzt sagen, die Zelle sei dieser Leib.“
Neue Einheitslehre
Ein Mensch wird krank, weil bestimmte Zellen aufgrund von Fehlfunktionen oder Störungen ihre Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen können. Wenn man jedoch wüsste, bei welcher Krankheit welche Zellen in welcher Art fehlerhaft arbeiten, könnte man sie viel gezielter behandeln, ist der Mediziner überzeugt.
Damals ist das eine revolutionäre Behauptung, mit der viele Praktiker zunächst nicht viel anzufangen wissen. Doch je mehr sich durch fortschrittliche Mikroskopiertechniken gewonnene Erkenntnisse durchsetzen und je mehr die alte humoralpathologische Einheitslehre zerfällt, desto mehr setzt sich Virchows Konzept der Zellularpathologie durch – als neue grundlegende Theorie, die alle medizinischen Disziplinen überspannt. Zu Recht, wie sich herausstellen soll.
Grundprinzipien bis heute gültig
Denn heute wissen wir: Virchow lag richtig mit seiner Annahme, dass sich Krankheit auf zellulärer Ebene entwickelt. Krebsleiden zum Beispiel gehen auf entartete Zellen zurück. Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose und Morbus Crohn entstehen, wenn sich die Zellen des Immunsystems fälschlicherweise auf gesunde Zellen, Gewebe und Organe des eigenen Körpers stürzen. Und selbst Virusinfektionen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Erreger sich in Körperzellen einschleust und diese zur eigenen Vermehrung umfunktioniert.
Für Virchow spielt der Einfluss solcher Mikroorganismen zwar noch keine Rolle. Trotzdem schafft er mit seinem Werk ein Konzept, nach dessen Grundprinzipien Pathologen noch heute arbeiten – auch wenn sie inzwischen viel tiefer in die Zellen hineinblicken können und in diesen kleinsten lebenden Einheiten längst weitere, noch kleinere Strukturen entdeckt haben.
Daniela Albat
Stand: 08.12.2017