Erstaunliche Leistungen vollbringen die weltweit etwa 50 Milliarden Zugvögel, die im Winter ihre Brutgebiete verlassen und sich auf die Wanderung ins Winterquartier begeben. Von Europa bis Zentralafrika legen zum Beispiel Störche etwa 4.600 Kilometer in wenigen Wochen zurück. Der Rekordhalter der Langstreckenflieger, die Küstenseeschwalbe, fliegt sogar 30.000 Kilometer weit. Selbst die sonst eher einzelgängerischen Arten zeigen während der Zugzeit eine ausgeprägte Geselligkeit. Sie bilden Rast- und Fluggesellschaften entweder innerhalb einer Art wie bei den Schwalben oder sogar zusammen mit anderen Arten wie bei Gänsen, Kormoranen und Kranichen.
Denn das Wandern im Schwarm hat viele Vorteile: Günstige Nahrungsbedingungen werden von der Gruppe eher erkannt als von Einzeltieren. In der Regel finden die Tiere gemeinsam auch schneller das Überwinterungsgebiet. Vor allem für Jungvögel, die die Strecke auf ihrer ersten Wanderung noch nicht kennen, ist es daher ein Vorteil, mit erfahrenen Tieren im Schwarm zu fliegen. Ein gut ausgebautes Warnsystem kann zudem einen wirksamen Schutz vor Feinden bieten. Nimmt ein Vogel die Gefahr wahr, wird das Signal an alle anderen Vögel weitergegeben und der ganze Schwarm dreht blitzschnell ab.
Zugvögel: Sieben Nachbarn im Blick
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Richtungsänderung eines ganzen Vogelschwarms innerhalb einer siebzigstel Sekunde verlaufen kann – schneller als die individuelle Reaktionszeit eines Einzeltiers. Wie solche Schwarmmanöver funktionieren und wie die typischen Formationen der Vogelschwärme zustande kommen, versuchen Forscher mit Simulationsprogrammen zu verstehen. Jedes virtuelle Tier bekommt dabei drei Anweisungen auf den Weg: Halte genügend Abstand zum Nachbarn, folge der Flugrichtung der Mehrheit und achte auf einen engen Zusammenhalt. Diese Parameter reichen aus, um die typischen ungeregelten Vogel- oder Fischschwärme nachzubilden. Dabei, so zeigen weitere Forschungen, achtet jeder Vogel in der Gruppe meist auf maximal sieben Nachbarn, mehr kann er nicht auf einmal im Blick haben.
Viele Vögel fliegen jedoch nicht in ungeregelten Schwärmen, sondern in charakteristischen Formationen, etwa als langes Band, in einer Schrägformation, in Keil- oder V-Form. Lange Zeit rätselten die Wissenschaftler, nach welchen Regeln solche geordneten Formationen zustande kommen. 2007 dann erzielten Forscher aus Rio de Janeiro hier einen wichtigen Fortschritt: Sie stellten fest, dass zwei Vorgaben für die virtuellen Vögel ausreichten: Fliege so, dass du den Auftrieb des vor die fliegenden Artgenossen ausnutzt, und wähle deine Position dabei so, dass du freie Sicht nach vorne hast. Berücksichtigten sie diese beiden Regeln, ordneten sich die virtuellen Zugvögel automatisch in der charakteristischen V-Formation an.
Bei diesen Formationen, wie sie vor allem von Wildgänsen bekannt sind, ist der vorderste Flieger nicht das Leittier der Gruppe. Stattdessen herrscht das Rotationsprinzip: Jeder Vogel besetzt immer nur für eine gewisse Zeit diesen meist besonders kräftezehrenden Platz. Nach einer Weile lässt er sich dann zurückfallen und reiht sich weiter hinten ein, während ein anderes Gruppenmitglied seine Position übernimmt. Die nachfolgenden Tiere haben auf diese Weise mit weniger Luftwiderstand zu kämpfen und sparen so Energie. In den meisten natürlichen Verbänden liegt der so erzielte Energiegewinn bei etwa 20 Prozent.
Im Fischschwarm: die Mitte als Ziel
Auch bei Fischen sind dichte Schwärme und koordinierte Manöver keine Seltenheit: Wie durch Zauberei ändert ein ganzer Makrelenschwarm auf einmal die Richtung und schwimmt eine elegante Kurve – und das alles ohne hektisches Gewimmel, Ausbrecher aus der Gruppe oder Einzeltiere, die in die falsche Richtung schwimmen. Aber warum? Wie verhindern die Fische, dass sie auseinanderdriften oder ständig miteinander kollidieren? Die Lösung: Jeder einzelne Fisch des Schwarms versucht, möglichst in die Mitte zu gelangen – die Gruppe bleibt dadurch beieinander. Gleichzeitig ermöglicht das Seitenlinienorgan den Tieren, kleinste Druckveränderungen im Wasser zu bemerken, wie sie beispielsweise durch zu nahekommende Artgenossen entstehen. Auf diese Weise stoßen die einzelnen Mitglieder im Schwarm nicht zusammen.
Nadja Podbregar / Kerstin Fels
Stand: 30.08.2013