Es müssen jedoch bei Weitem nicht immer komplexe Netzwerke aus Dutzenden von Neuronen sein. Bereits ein einziges, gleichwohl komplexes Neuron mit vielen Eingangskanälen reicht aus, um einen Roboter friedlich an der Wand entlang fahren oder einen Ball durch die Gegend schieben zu lassen. Ein Neuron und ein Befehl: „Stelle die relative Geschwindigkeit deiner Laufrädchen so ein, dass deine Sensorwerte möglichst konstant bleiben.“
Setzt man Rob, dessen Hirn derart bescheiden ausgestattet wurde, neben eine Wand, wird er versuchen, diese so lange wie möglich mit gleich bleibendem Abstand entlang zu fahren. Trifft er jedoch auf ein Hindernis, etwa einen Ball, geschieht etwas Verblüffendes: Die Sensorwerte ändern sich, und der Roboter versucht nun, diese neuen Werte konstant zu halten. So wird er den Ball so lange wie möglich vor sich herschieben, auch auf unebenem Untergrund. Eine durchaus komplexe Verhaltensweise – mit einem einzigen Neuron realisiert.
Die kybernetischen Modelle, die hinter diesen und ähnlichen Verhaltensweisen stehen, nennt man Homöostasen. Ihr vermeintlich einfaches Strickmuster darf aber nicht täuschen: Denn Homöostasen führen ohne Umweg über Belohnung und Strafe schnell zu angemessenen Verhaltensweisen – ohne dass Rob erst etliche Male gegen Wände fahren muss, um allmählich zu brauchbareren Alternativen zu kommen. Anders als bei der Variante mit Strafe und Belohnung müssen homöostatische Algorithmen auch nicht alle möglichen Verhaltensalternativen ausprobieren, damit das Netzwerk irgendwann lernt, zwischen ihnen zu unterscheiden.
Kein Wunder also, dass Homöostasen auch in der Natur, der Meisterin in Sachen Ergonomie, weit verbreitet sind. Und das nicht nur dann, wenn es darauf ankommt, Werte wie zum Beispiel den Blutzuckerspiegel oder den Blutdruck – davon haben die Homöostasen ihren Namen – konstant zu halten.
Das Prinzip Homöostase hält auch Fliegen in der Luft: Anstatt jeden Flügelschlag nach aerodynamischen Gesetzen neu zu berechnen, genügt es, den Luftdruck unter- und oberhalb des Flügels mit wenigen darauf eingelernten Neuronen homöostatisch konstant zu halten. Und schon geht es immer geradeaus statt steil abwärts.
Vermutlich werden bei den meisten Organismen noch viel mehr Verhaltensweisen über homöostatische Algorithmen gesteuert. In höher entwickelten Lebewesen sind diese natürlich in weitere Kontrollmechanismen eingebunden. Wie die im einfachsten Fall aussehen könnten, zeigt eine weitere Version von Rob: eine etwas pfiffigere, die von einem Netzwerk aus mehreren homöostatischen Neuronen gesteuert wird. Diese Neuronen sollen nur so lange etwas lernen, bis sie einen Gleichgewichtszustand erreicht haben. Kleine weitere Zutat: Während diese lernenden Neuronen aktiv sind, können sie ihre Nachbarn in ihrer Aktivität hemmen.
Stand: 27.05.2005