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200 Millionen tote Hühner, Puten oder Hausgänse, Im- und Exportverbote für Fleisch oder lebende Tiere und Schäden in Milliardenhöhe. Dies ist die Bilanz von acht Jahren Vogelgrippe in Südostasien. Seit dem ersten Ausbruch 1997 in Hongkong melden die Behörden vor allem in Vietnam und Thailand, aber auch in Kambodscha oder Indonesien immer wieder ein Aufflammen der Seuche. Gerade wenn irgendwo durch Massentötungen und/oder Serienimpfungen ein Krisenherd gelöscht scheint, taucht der Virus urplötzlich an anderer Stelle wieder auf.
Doch nicht nur Zuchtgeflügel ist von der Seuche betroffen, auch 121 Menschen sind bisher weltweit am Vogelgrippe-Erreger H5N1 erkrankt. Tendenz stark steigend. Dies geht jedenfalls aus dem aktuellen Bericht der WHO vom 27. Oktober 2005 hervor. Seit Beginn des letzten Ausbruchs in Vietnam im Dezember 2004 haben die obersten Gesundheitshüter allein 77 neue Fälle registriert.
Rund die Hälfte aller Erkrankten (62) ist laut den Statistiken der WHO innerhalb kurzer Zeit nach der Infektion gestorben – allesamt in Südostasien. Die meisten Todesfälle werden bisher aus Vietnam gemeldet (41), es folgen Thailand (13) sowie Indonesien und Kambodscha mit jeweils vier Opfern.
Von Südostasien bis in die Türkei
Doch längst hat H5N1 die Grenzen des früheren Verbreitungsgebiets gesprengt und eine „Wanderung“ westwärts Richtung Europa angetreten. Zunächst tauchte der Virus Anfang 2004 in weiten Teilen Chinas auf und sorgte dort für schwere Schäden beim Zuchtgeflügel. Nur mithilfe von Massenimpfungen gelang es den chinesischen Behörden Mitte des Jahres der Situation Herr zu werden und die Tierseuche teilweise oder sogar vollständig einzudämmen. Ob die Chinesen tatsächlich so erfolgreich waren, wie sie damals selbst verkündeten, bezweifeln heute viele Wissenschaftler in Europa und den USA.
Rund ein Jahr danach meldete sich aber der Virus in Zentralchina zurück und befiel dieses Mal in erster Linie Wildvögel wie Gänse, Möwen oder Kormorane. Nur wenig später wiesen Wissenschaftler darüberhinaus in der benachbarten Mongolei den auch für den Menschen gefährlichen Erreger H5N1 nach.
Im Juli und August 2005 schließlich verließ der Virus Zentralasien und sprang über nach Sibirien. Dort waren vor allem Gänse, Enten und Hühner in den Regionen um Nowosibirsk und Altai betroffen. Auch im Norden Kasachstan machte sich der Erreger breit. Die Opfer hier: Mindestens 600 Gänse. Unklar ist, ob damals auch ein Mensch an der Seuche erkrankte.
Während man das allmähliche Näherkommen von H5N1 bis dahin in Deutschland noch eher gelassen zur Kenntnis nahm, begannen auch hier die Alarmglocken zu schrillen, als die Vogelgrippe Anfang Oktober 2005 Europa erreichte. Nahezu zeitgleich meldeten die Behörden in der Türkei und im rumänischen Donau-Delta die Erkrankung von Tieren. Schnelltests ergaben auch hier den Erreger H5N1 als Infektionsursache. Und auch in Kroatien wurde der Virus einige Tage später aufgespürt.
Zugvögel als Überträger
Nach Angaben des EU-Kommissars für Gesundheit und Verbraucherschutz Markos Kyprianou unterschieden sich die dort nachgewiesenen Stämme des Vogelgrippevirus genetisch kaum von denen in Sibirien.
Obwohl die Rolle von Zugvögeln bei der Ausbreitung der Vogelgrippe bis heute nicht endgültig geklärt ist, gehen Wissenschaftler von einem direkten Zusammenhang zwischen dem Überspringen des Erregers nach Europa und dem saisonalen Vogelflug aus. Dies geht beispielsweise aus einem Bericht der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) hervor. Forscher des OIE hatten nach dem Auftreten der Geflügelpest Russland bereist und dort umfangreiche Untersuchungen vorgenommen.
Die Wissenschaftler sind jedenfalls sicher, dass H5N1 mittlerweile unter Wildvögeln weit verbreitet ist und halten eine Infektion von Zuchtgeflügel durch Kot oder direkten Kontakt durchaus für wahrscheinlich.
Stand: 28.10.2005