
Nur wenige Kilometer von den traumhaften Korallenstränden von Akumal und Tulum entfernt, ist die Hitze des südmexikanischen Urwalds unerträglich. Schon vor Stunden sind die vier Taucher im Wasserloch am Rande der Straße verschwunden, ich bin allein auf der Ladefläche unseres Trucks zurückgeblieben. „Chan Hol“, auf Maya „kleines Loch“, heißt der schwarze Tümpel neben mir mitten im Urwald – wir sind dabei, sein in der Tiefe verborgenes Geheimnis zu lüften.
Der Himmel hat sich zugezogen. Auf die ersten schweren Tropfen folgt ein heftiger Regenguss. Für kurze Zeit hält er zumindest die Mücken ab, Abkühlung aber bringt auch er nicht. In Minuten bildet sich am Wegrand ein kleiner Bach, Blitze zucken aus allen Himmelsrichtungen, der Wind zerrt an den Palmen. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Auch die Pfützen am Wegrand sind wieder abgetrocknet.
Ein Höhlensystem der Superlative
Die weißen Karstfelsen im schütteren Urwaldboden der Halbinsel Yucatan sind löchrig wie ein Schweizer Käse. Sie bilden den Ursprung eines der größten Höhlensysteme der Erde. 7.000 Kilometer soll das Labyrinth aus Gängen, Spalten, Tunneln und Kammern lang sein, nur ein Bruchteil davon ist bislang kartiert. In mehreren übereinanderliegenden Stockwerken zieht das heute fast vollständig mit Wasser gefüllte Höhlensystem bis in mehr als 100 Meter Tiefe.
Hier in Chan Hol, nur wenige Kilometer vom Karibikstrand entfernt, reicht das Süßwasser bis in Tiefen von etwa zehn Metern hinab; darunter lagert vom Meer eingesickertes dichtes, schweres Salzwasser. Hunderte wassergefüllte Dolinen bilden die Eingänge zur versunkenen Unterwelt von Yucatan – einer davon ist der Tümpel von Chan Hol. „Cenote“ haben die Mayas diese Löcher genannt, die schachtartig in den Kalkstein hineinreichen.