Josef Settele vom Umweltforschungszentrum UFZ ist einer der beiden Leitautoren für ein Kapitel im zweiten Teil des 5. Weltklimaberichts. In diesem Kapitel wird der Stand des Wissens zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Terrestrische Ökosysteme und Binnengewässer zusammengefasst. Tilo Arnold vom Umweltforschungszentrum UFZ hat den Forscher dazu befragt, wie ein solches Kapitel eigentlich zustande kommt.
Sie sind „Koordinierender Leitautor“ im aktuellen Klimabericht des IPCC. Was bedeutet das in der Praxis?
Die Hauptaufgabe der Koordinierenden Leitautoren besteht darin, den Text, der den Stand der Forschung weltweit zu einem Thema repräsentieren muss, in seinem Umfang und inhaltlichen Schwerpunkten in Diskussion mit den sogenannten Leitautoren festzulegen. Im nächsten Schritt erfolgt die Aufteilung der Arbeit im Autorenteam und für jeden einzelnen Autor dann die kritische Sichtung der vorhandenen Literatur.
Unsere Aufgabe ist es dann, dafür zu sorgen, dass die unglaublich vielen Einzelbeiträge am Ende wie Puzzlesteine zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden können, das in sich stimmig ist und mit dem später alle möglichen Nutzergruppen etwas anfangen können – von sehr interessierten Bürgern, die sich einfach nur informieren wollen, bis hin zu Regierungen, die darauf basierend wichtige Entscheidungen treffen müssen.
Und natürlich versuchen wir als Wissenschaftler, den Stand der Forschung ausgewogen und korrekt wiederzugeben – auch wenn dies oft nicht so einfach ist. Denn wir tragen zunächst das Wissen zusammen, das andere erarbeitet haben, und müssen es auf Basis unserer fachlichen Einschätzung aus der Ferne gewichten. Zum Glück gab es zig Experten, die uns dabei unterstützt und bei den Details geholfen haben. Die menschliche Komponente spielt mitunter auch eine Rolle: Manchmal muss man einfach zwischen verschiedenen Meinungen und Temperamenten vermitteln, damit alle an einem Strang ziehen und die Berichte rechtzeitig fertig werden.
Der IPCC wird von Kritikern gerne als ein elitärer Zirkel von Wissenschaftlern bezeichnet, die die Deutungshoheit zum Thema Klima nicht aus der Hand geben wollen. Wie sind Sie dazu gekommen und wie haben Sie diese Community empfunden?
Der 5. Sachstandsbericht des IPCC ist keine Geheimsache, auch wenn das Verschwörungstheoretiker im Internet gerne mal behaupten. Dahinter steht vielmehr ein Prozess, der offen ist, was gut und auch notwendig ist. Als Autor konnte sich jeder interessierte Experte bei seiner Regierung bewerben, die wiederum ihre Nominierungen an den IPCC gegeben hat. Auf diese Weise sind für alle drei Arbeitsgruppen des IPCC-Berichts mehr als 3.000 Nominierungen von Regierungen und Beobachterorganisationen eingegangen, aus denen etwa 830 Leitautoren – einschließlich der Koordinierenden Leitautoren – aus aller Welt ausgewählt wurden, darunter 36 aus Deutschland.
Die IPCC-Organisatoren haben sich bemüht, die Autoren und Beiträge möglichst ausgewogen aus allen Weltregionen einzubeziehen. Wichtigstes Auswahlkriterium war aber die wissenschaftliche Kompetenz der Autoren und Gutachter. Wenn man weiß, dass die Chancen nur bei etwa eins zu drei standen, für den IPCC nominiert zu werden – und dann noch als Koordinierender Leitautor – freut man sich besonders.
Den Stand des Wissens zu einem globalen Problem zusammenzufassen, ist vermutlich eine echte Herausforderung für einen Wissenschaftler.
Die IPCC-Arbeitsgruppe II erhielt schon beim ersten Entwurf rund 20.000 Kommentare von zirka 560 Gutachtern. Jede Regierung der 195 UN-Mitgliedsstaaten sowie hunderte Experten konnten ihre Einschätzung dazu abgegeben, ob der Stand der Forschung angemessen dargestellt ist. Allein in dem Fachgebiet, das unser Kapitel 4 betrifft, erscheinen wöchentlich Dutzende von wissenschaftlichen Studien. Die größte Gefahr für uns war deshalb, etwas Wichtiges zu übersehen. Der IPCC-Bericht ist eben ein weltumfassendes Projekt.
Das macht sich auch in der Kommunikation bemerkbar. Nicht nur, dass rund um die Uhr Kommentare per Email eintreffen. Auch verschiedenste Wissenschaftskulturen prallen dabei auf einander. Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, dass wir über die Interpretation von Begriffen wie z.B. Kulturlandschaft so intensiv diskutieren würden. Aus meiner Sicht ist der IPCC-Report die größte wissenschaftliche Gemeinschaftsleistung derzeit. In Sachen Projektkoordination ist damit eigentlich kaum noch eine Steigerung möglich.
Der IPCC war vor einigen Jahren vor allem in den Medien mit Schlagzeilen über einem Zahlendreher zum Abschmelzen der Himalaya-Gletscher und durch die Veröffentlichung von internen Mails bekannter Klimaforscher und wichtiger IPCC-Autoren. Wie hat das die Arbeit des 5. Sachstandsbericht beeinflusst?
Eine der Herausforderungen ist ja, dass die Publikationen für den Bericht nach der Relevanz und eben nicht nur nach dem Renommee des Journals ausgewählt werden. Also wird teilweise auch auf Reports von Nichtregierungsorganisationen oder ähnliche Dokumente zurückgegriffen, die keinen Gutachterprozess (peer-Review) wie wissenschaftliche Publikationen durchlaufen haben. Das kommt daher, dass es zu bestimmten Themen oder Regionen keine anderen Quellen gibt. Hier müssen die Aussagen, ihre Quellen und ihre Verlässlichkeit dann besonders gründlich gecheckt werden.
Die Gefahr, dass sich ein Fehler einschleicht, ist prinzipiell immer da, wird aber umso geringer, je mehr Augen darauf schauen. Im Gegensatz zu einem normalen peer-reviewten Paper haben wir beim IPCC aber nicht nur zwei, sondern hunderte von Gutachtern. Welche Auswirkungen es hat, dass eine relativ aktuelle Fassung des Gesamtberichtes unserer Arbeitsgruppe bereits im Internet aufgetaucht ist, also geleakt wurde, vermag ich noch nicht abzuschätzen. Von einer gewachsenen Angst vor solchen „Leaks“ habe ich als IPCC-Neuling nichts gespürt. Neu war aber auf alle Fälle bei diesem Sachstandsbericht, dass extrem großer Wert darauf gelegt wurde, überall anzugeben, für wie zuverlässig jede Aussage eingeschätzt wird.
Nadja Podbregar
Stand: 01.04.2014