Die Supersymmetrie steckt in der Krise. Nachdem sie jahrzehntelang die favorisierte Erweiterung unseres Standardmodells war, bricht der Theorie nun nach und nach das Fundament weg. Denn experimentelle Befunde haben einen Großteil der klassischen, einfachen Varianten der Supersymmetrie widerlegt – die von ihnen postulierten SUSY-Teilchen existieren schlicht nicht.
Neue Ideen gesucht
Was aber bleibt? Bedeutet dies das Aus für die Supersymmetrie? Nach Ansicht einiger Physiker ist das Fall. Sie sehen die Versuche, doch noch eine Lösung zu finden, als ein verzweifeltes Herumprügeln auf einem schon längst toten Pferd. Zu diesen gehört auch der Physiker Mikhail Shifman, der lange Zeit selbst intensiv an der Supersymmetrie geforscht hat. Seiner Ansicht nach wird es Zeit, sich von der Supersymmetrie zu verabschieden: „Wir müssen aufhören, blindlings den Parameterraum abzusuchen und anfangen, neu zu denken und neue Ideen zu entwickeln“, schreibt er in einem Artikel.
Doch was wäre die Alternative? Bisher gibt es kaum andere Ansätze, die ähnlich weit gediehen sind und die alle Lücken und Probleme des Standardmodells auf ähnlich elegante Weise erklären können. „Ich bin sicherlich nicht jemand, der glaubt, die Supersymmetrie muss um jeden Preis richtig sein – aber mir fällt auch nichts ein, das besser wäre“, beschreibt Stephen Martin von der Northern Illinois University im Quanta Magazine das Dilemma der modernen Physik.
…oder nur neue Fahndungsmethoden?
Es gibt aber auch Physiker, die die Supersymmetrie nicht verloren geben. Ihnen zufolge gibt es zwei mögliche Erklärungen dafür, warum man bisher keine SUSY-Teilchen aufspüren konnte. Eine wäre, dass diese Partikel doch weit schwerer sind als es die einfachen Supersymmetrie-Modelle vorhersagen. Selbst der LHC wäre demnach noch zu schwach, um sie nachzuweisen.
Allerdings haben diese Modelle einen erheblichen Schönheitsfehler: Damit solche superschweren SUSY-Teilchen und die Lücken im Standardmodell füllen können, müssen ihre Merkmale und Wechselwirkungen eine ganze Reihe von zusätzlichen Bedingungen erfüllen. Ein solches „Fine-Tuning“ macht jedoch die genau die Einfachheit und Eleganz zunichte, die die Supersymmetrie so überzeugend machte.
„Verborgene“ Supersymmetrie
Eine zweite Erklärung wäre, dass die SUSY-Teilchen zwar genau da sind, wo sie sein sollten, sich aber durch ihr Verhalten dem Nachweis entzogen haben. Konkret wäre das beispielsweise dann möglich, wenn diese Partikel weit stabiler wären als gedacht. Sie würden dann nicht schon in den Detektoren beispielsweise des LHC in nachweisbare Zerfallsprodukte übergehen, sondern könnten mehrere Meter bis tausende Kilometer weit vom Kollisionspunkt hinausgeschleudert werden, bevor sie zerfallen. Das allerdings müsste sich dann in den Kollisionsprodukten als fehlende Energie bemerkbar machen – und auch das wurde bislang nicht nachgewiesen.
Denkbar wäre aber auch, dass die SUSY-Teilchen zwar schnell zerfallen, aber in andere Sekundärteilchen als erwartet. „Einige modifizierte Versionen der Supersymmetrie sagen voraus, dass die SUSY-Partikel in Teilchen des Standardmodells zerfallen können“, erklären Physiker der CMS-Kollaboration am CERN. Weil diese zusätzlichen Teilchen in ihren Merkmalen nicht von den Unmengen an normalen Kollisionsprodukten unterscheiden, sind sie schwer vom „Hintergrundrauschen“ zu trennen. „Das würde daher erklären, warum bisherige Suchen nichts gefunden haben“, so die Forscher.
Vielversprechende Diskrepanz im Detektor
Tatsächlich hat eine Gruppe von Physikern der CMS-Kollaboration am Fermilab in den USA bereits damit begonnen, nach dieser „versteckten“ Supersymmetrie zu suchen. „Unser LPC-Team nutzt eine Technik des maschinellen Kernens mit zwei konkurrierenden neuronalen Netzwerken, um die subtilen Unterschiede zwischen möglichen Signalen und den Hintergrund-Ereignissen aufzudecken“, erklärt Jim Hirschauer vom Fermilab. „Diese Daten nutzen wir dann, um die wenigen interessanten Kollisionen, die auf eine verborgenen Supersymmetrie hindeuten, von den Milliarden restlichen Kollisionen zu trennen, die der LHC pro Sekunde produziert.“
In den ersten Fahndungen dazu haben die CMS-Forscher zunächst die Ereignisse untersucht, bei denen zwei supersymmetrische Top Squarks zu zwei normalen Top Quarks und eine Reihe weiterer Teilchen zerfallen. In den LHC-Daten stießen sie dabei tatsächlich auf eine leichte Auffälligkeit: Bei einigen Kollisionen entstanden etwas mehr Top-Quark-Jets als es das Standardmodell vorhersagt. Bisher liegt die Signifikanz dieser Abweichung allerdings erst bei 2,8 Standardabweichungen, wie das CMS-Team berichtet. Das ist noch zu wenig, um als deutliches Indiz oder Entdeckung zu gelten.
„Diese leichte Diskrepanz ist dennoch sehr spannend“, erklären die Physiker. „Wir führen nun Folgestudien durch um herauszufinden, ob es sich nur um eine statistische Fluktuation handelt oder um das erste Anzeichen einer neuen Physik.“ Ab 2022 soll nach einer knapp zwei Jahre dauernden Ausbrauphase zudem die dritte Laufzeit des LHC beginnen, für die Leistung und Detektionsvermögen des Teilchenbeschleunigers noch einmal optimiert wurden. „Wenn die verborgenen Supersymmetrie wirklich existiert, dann werden die neuen Daten ein noch signifikanteres Ergebnis liefern“, so die Hoffnung des CMS-Teams.
Nur eine Frage der Zeit?
Auch andere Physiker sehen die Supersymmetrie noch nicht am Ende. Solange nicht alle Fahndungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, sind sie nicht bereit, die Theorie für tot zu erklären. Als Physiker sei man schließlich daran gewöhnt, dass manches ein wenig länger dauert. Immerhin habe es von der theoretischen Vorhersage bis zum Nachweis der Neutrinos 25 Jahre gebraucht, beim Higgs-Boson waren es rund 50 Jahre und bei den Gravitationswellen verging sogar fast ein Jahrhundert.
„Entweder ist die Supersymmetrie die Antwort oder nicht, aber der einzige Weg, das herauszufinden ist, weiter zu suchen“, sagt Elodie Resseguie vom Lawrence Berkeley National Laboratory.