Man könnte argumentieren, dass die Kenntnis über die biochemischen Grundlagen der Liebe ihr irgendwie die Romantik und Magie nimmt. Frisch Verliebte wären demnach nicht mehr als willen- und kopflose Sklaven ihrer Hormone. Und auch Menschen in längeren Beziehungen wären nur weiterhin zusammen, um gemeinsam Kinder zu zeugen und großzuziehen. Wenn Mutter Natur ihren Auftrag erfüllt hat, beraubt sie uns der Liebe wieder und wir fangen von vorne an. Doch kann das wirklich schon alles gewesen sein?
Ein geheimnisvolles Picasso-Gemälde
Dem widerspricht zumindest der deutsche Hirnforscher und Philosoph Andreas Bartels: „Die Empfindung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass man weiß, wie sie entsteht. Uns würde auch ein Picasso-Werk nicht weniger faszinieren, wenn wir sehen würden, wie er es gemalt hat.“ Hinzu kommt, dass wir noch lange nicht so weit sind, jeden einzelnen Pinselstrich der Liebe mitverfolgen zu können.
Bartels geht davon aus, dass es äußerst schwer, wenn nicht gar unmöglich ist, die Empfindung der Liebe jemals komplett zu entwirren. Unter anderem deshalb gilt es unter Neurowissenschaftlern immer noch als umstritten, ob Liebe wirklich nur Biochemie im Gehirn ist.
Liebe als moderne Erfindung
Hinzu kommt, dass es nicht die eine Liebe gibt, sondern deren Bedeutung und Auslebung stark von Kultur und Zeitalter abhängt. Häufig legen wir dem Konzept der Liebe ausschließlich eine moderne, westliche Definition zu Grunde. Zum Beispiel im Stile der Liebe auf den ersten Blick, wie wir sie aus Disney-Filmen kennen, der tragischen Liebe aus Shakespeares Werken oder des „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ aus dem Märchen.
Andere Kulturen gehen mit der Liebe aber deutlich nüchterner um – so zum Beispiel im Süden der indonesischen Insel Sulawesi. Dort sind Ehen nach wie vor größtenteils arrangiert, was von den Beteiligten aber nicht unbedingt negativ wahrgenommen wird, wie die Kulturanthropologin Birgitt Röttger-Rössler im Deutschlandfunk Kultur berichtete: „Ich habe beobachtet, dass die jungen Paare eigentlich relativ unerschrocken in diese mehr oder minder arrangierten Ehen gingen.“
Der Grund: Liebe im Sinne von Schmetterlingen im Bauch und rosaroter Brille gibt es dort nicht. „Zum Teil werden diese Symptome eben nicht als Verliebtheit oder so etwas gewertet, sondern, so muss man das schon sagen, einfach als Krankheit“, so Röttger-Rössler. Und diese Krankheit bedarf einer Behandlung: „Man muss eingreifen. Man muss auf diese jungen Menschen aufpassen. Das ist ein gefährlicher Zustand. Die wissen nicht, was sie tun.“
Liebesheirat ist gerade einmal 250 Jahre alt
Was für westliche Ohren erschreckend klingen mag, war in Wirklichkeit den größten Teil der Menschheitsgeschichte nicht viel anders. Man schätzt, dass das Ideal der frei gewählten Liebe, wie wir es in unserer Gesellschaft praktizieren, tatsächlich erst rund 250 Jahre alt ist. Zuvor galten arrangierte Ehen als Norm. Als Mittel zum Zweck, um an Sicherheit, Einfluss und Wohlstand zu gewinnen. Die Empfindungen von Liebe und Lust gab es natürlich ebenso, doch sie standen bei der Eheschließung hinten an und wurden stattdessen in Form von Affären ausgelebt. Im alten Rom galt das Ehebrechen sogar als regelrechter Sport.
Im Mittelalter herrschte dann der Glaube vor, wahre Liebe könne nur Gott gelten. Dementsprechend wenig hatten auch Liebe und Sex miteinander zu tun. Körperliche Intimität galt als teuflischer Trieb, dem man lediglich zum Zeugen von Nachkommen folgen musste. Auch wenn diese gesellschaftlichen Ideale zu keiner Zeit Liebesbeziehungen verhindert haben, so galt die romantische Liebe erst gegen Ende des 19. Jahrhundert als offizielles Ideal. Seinen Seelenverwandten zu finden, war fortan ein Lebensziel.
Die kleine Zeitreise zeigt: Das Gefühl der Liebe mag zwar biochemischen Ursprungs sein, doch in welcher Form wir es ausleben und wahrnehmen, hängt ebenso von kulturellen und historischen Faktoren ab.
Das Geheimnis ewiger Liebe
Die Liebeschemie macht uns also nicht zwingend zu Sklaven unserer Hormone. Im Gegenteil: Indem wir immer mehr darüber lernen, wie genau Liebe „funktioniert“, können wir die hormonellen Spielregeln nach unseren Wünschen einsetzen. Die Anthropologin Helen Fisher geht etwa davon aus, dass die zunehmende Kenntnis über die Chemie der Liebe uns dabei helfen könnte, diese langlebiger zu machen als von der Natur vorgesehen.
Der entscheidende Mechanismus, mit dem wir langfristige, glückliche Beziehungen aufrechterhalten können, liegt demnach darin, die Zufuhr neuer Glücks- und Bindungshormone nicht abreißen zu lassen. Ein wichtiger Baustein für lebenslange Beziehungen sind daher guter Sex und körperliche Nähe, wie Forschende argumentieren. Die dabei ausgeschütteten Bindungshormone verpassen uns gewissermaßen einen Kick und versetzen uns wieder in den Glücksrausch frischer Liebe.
Eine ebenso wichtige Rolle spielt steter Adrenalin-Nachschub. Studien haben gezeigt, dass Paare, die regelmäßig aufregende Tätigkeiten zusammen ausüben und gemeinsam neue Herausforderungen bestehen, glücklicher sind und länger zusammenbleiben. Es muss allerdings nicht direkt ein Fallschirmsprung sein. Auch Konzertbesuche, Tanzabende oder gemeinsame Wanderungen erzielen den gewünschten Effekt.