Turings Modell hatte eine ganze Reihe von Nachfolgern, die alle als Reaktions-Diffusions-Modelle bezeichnet werden. Auch die beiden Tübinger Max-Planck-Forscher Alfred Gierer und Hans Meinhardt befassten sich Anfang der 1970er-Jahre mit Modellen zur biologischen Musterbildung. Dabei hatten es ihnen besonders die komplexen Muster auf den Gehäusen tropischer Meeresschnecken angetan.
Bei einem Essen in einem italienischen Restaurant war Meinhardt eine Muschelschale mit einem Muster von roten Linien aufgefallen. „Zu meiner Überraschung waren mathematische Modelle, die wir zur Beschreibung elementarer Schritte in der Entwicklung höherer Organismen erarbeitet hatten, auch in der Lage, den Verlauf der roten Linien auf meiner Muschel zu erklären“, schreibt der Physiker.
Von der Zelle zum komplexen Muster
Diese Form der Musterbildung ist also letztlich nur ein sehr spezielles Beispiel für einen allgemeinen Prozess von lebenswichtiger Bedeutung: der Strukturbildung während der Entwicklung eines vielzelligen Organismus. Ausgangspunkt dabei ist eine einzige Zelle, die befruchtete Eizelle. Sie enthält in der DNA alle Informationen, die zur Bildung der komplexen Struktur eines höheren Organismus notwendig sind. Doch bieten die Gene selbst noch keine Erklärung für die Strukturbildung. Denn in der Regel wird bei jeder Zellteilung das verdoppelte genetische Material zu gleichen Teilen auf die beiden Tochterzellen verteilt. Diese sind somit identisch.
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Wie kommt es dann aber zur Entwicklung verschiedener Zelltypen? Und wie gelingt es, diese verschiedenen Zelltypen bestimmten Geweben und Organen und diese wiederum bestimmten Positionen im Körper zuzuordnen? „Signalmoleküle spielen hierbei eine entscheidende Rolle“, sagt Schlake. So tauschen anfänglich gleichartige, direkt benachbarte Zellen untereinander Signale aus, die sie veranlassen, sich unterschiedlich weiterzuentwickeln. Oder eine Gruppe von Zellen mit gleichem Entwicklungspotenzial wird durch ein Signal von Zellen außerhalb dieser Gruppe angetrieben, sich in zwei Zellgruppen mit unterschiedlichem Entwicklungsweg aufzutrennen.
Nicht nur „Ja“ und „Nein“
In vielen Fällen diffundiert das Signalmolekül von seiner Quelle weg und bildet ein Konzentrationsgefälle. Zellen in unterschiedlicher Entfernung zur Quelle reagieren deshalb auf unterschiedliche Weise – je nach Signalstärke, die sie wahrnehmen. Solche Signalmoleküle haben also keine einfache Ja/Nein-Antwort zur Folge.
Eine hohe Konzentration der Signalsubstanz vermag die Zielzellen in Richtung auf einen bestimmten Entwicklungsweg hin beeinflussen, eine mittlere Konzentration tut dies für einen anderen Ausgang, und eine niedrige Signalstärke führt zum Beschreiten eines dritten Weges. Dabei werden bestimmte Gene, die die weitere Entwicklung der Zelle steuern, in Abhängigkeit von der Position der Zelle und ihrem Abstand zur Signal gebenden Quelle an- oder abgeschaltet. Eine Signalsubstanz, die einem ganzen Areal von Zellen auf diese Weise ein Muster aufnötigt, wird Morphogen genannt – eine Bezeichnung, die schon Turing für seine beiden wechselwirkenden Substanzen gewählt hatte.
MaxPlanckForschung / Christina Beck
Stand: 19.09.2008