Hat eine Sprache nur noch wenige Sprecher, muss sie deshalb nicht unbedingt gefährdet sein. Solange sie nur Generation für Generation weitergegeben wird. Weil Minderheiten aber in vielen Gesellscha¬ften stigmatisiert sind, erziehen Eltern ihre Kinder häufig lieber in der Amtssprache des Landes – in der Hoffnung, dem Nachwuchs beruflich und sozial den Weg in eine bessere Zukunft¬ zu ebnen. Wenn in den Schulen nur in den National- oder Verkehrssprachen unterrichtet wird, gibt es zu der Entscheidung kaum eine Alternative.
Verarmte Sprache – vergessenes Wissen
Und selbst wenn die Kinder zu Hause mit einer anderen Sprache aufwachsen, den Schulstoff müssen sie trotzdem in der offiziellen Amtssprache pauken. Dabei haben pädagogische Untersuchungen gezeigt, dass Schüler am schnellsten in ihrer Muttersprache lesen und schreiben lernen. Viele Forscher von DobeS setzen deshalb ihre Ergebnisse in Schulbüchern um und bilden einheimische Sprachlehrer aus. Denn: Verlieren Kinder ihre Muttersprache, versiegt das Wissen ihrer Kultur.
Ulrike Mosel hat diesen Prozess auf Teop Island in Papua-Neuguinea beobachtet. Die emeritierte Linguistin der Universität Kiel dokumentiert dort Teop und hat Beschreibungen zu Fischfang, Bootsbau und der heimischen Pflanzenwelt gesammelt. Dazu zählt auch ein Büchlein mit rund 40 Muschelnamen auf Teop. „Kinder, die nur Pidginenglisch sprechen, kennen keinen einzigen dieser Namen – für sie heißt jede Muschel ’shell‘, egal wie sie aussieht. Kinder, die Teop sprechen, lernen dagegen, Dutzende Muscheln zu unterscheiden.“ Je mehr die Kinder wissen, umso detaillierter nehmen sie ihre Umwelt wahr und umso besser sind ihre intellektuellen Fähigkeiten.
Vom Tonband zur Videokamera
Um einen möglichst breiten Ausschnitt sprachlicher und kultureller Kompetenz abzudecken, dokumentieren Linguisten vielfältigste Situationen: Alltagsgespräche, traditionelle Gesänge, Beschreibungen, Mythen, Zeremonien. Früher nahmen die Feldforscher die Erzählungen meist auf Tonband auf, die sie mühselig auf Papier übertrugen und anschließend häppchenweise in Wörterbücher und Grammatiken einarbeiteten. Auf die originalen Aufzeichnungen konnte die übrige Forschergemeinschaft allerdings nicht mehr zugreifen – um beispielsweise neue Fragen mit ihrer Hilfe zu klären.
Das hat sich mit DobeS entscheidend geändert. Neben Audiorekorder und Fotoapparat verwenden die Wissenschaftler Videokameras, um unterschiedlichste Sprechsituationen aufzuzeichnen – beim Teppichknüpfen, dem Getreidemahlen, der Essenszubereitung oder beim Geschichtenerzählen. Ihre Materialsammlung laden die Forscher dann in das Herzstück des DobeS-Programms hoch: das „Language Archive“ am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen.
Karin Schlott / VolkswagenStiftung, Broschüre Bedrohte Sprachen
Stand: 24.05.2013