Die Herrschaft des gefürchteten, bis zu 18 Meter langen Königs der Meere begann vor 20 Millionen Jahren. Sein offizieller Herrschertitel: Otodus megalodon, früher auch Carcharodon beziehungsweise Carcharocles megalodon. Doch meist ist er unter seinem Spitznamen Megalodon bekannt, was so viel wie „großer Zahn“ bedeutet.
Viel Wirbel um Wirbel
Der Name ist gleich aus zwei Gründen passend: Erstens, weil die Zähne des Megalodon mit bis zu 18 Zentimetern Länge tatsächlich sehr groß waren, und zweitens, weil vom Urzeit-Hai ohnehin fast ausschließlich Zähne erhalten sind. Der Rest seines Skelettes bestand nämlich aus weichem Knorpel – ähnlich wie unsere Nase und Ohren. Dieser zersetzte sich nach dem Tod sehr schnell und neigte deshalb nicht zum Versteinern. Weltweit sind daher nur zwei Megalodon-Fossilien bekannt, bei denen neben Zähnen auch einige Wirbel erhalten geblieben sind.
Ein solches Fossil befindet sich aktuell im Königlichen Belgischen Institut für Naturwissenschaften – wie es einem Urzeit-König gebührt. Verschiedenen Forschungsteams ist es in den vergangenen Jahren gelungen, anhand dieses außergewöhnlichen Fossils das Aussehen und Leben der riesigen Räuber so detailgetrau zu rekonstruieren wie nie zuvor. Nennen wir dieses belgische Exemplar einfach „Meggie“ – obwohl unklar ist, ob das Tier weiblich oder männlich war – und begleiten den Hai durch sein Leben.
Ein mörderisches Baby
Meggies Leben beginnt vor 18 Millionen Jahren, in küstennahem, seichtem Flachwasser. Sie wurde gerade von ihrer gigantischen Mutter lebend zur Welt gebracht. Meggie ist bei ihrer Geburt schon zwei Meter lang, wie Paläontologen um Kenshu Shimada von der DePaul University in Chicago anhand der Wachstumsringe in ihren Wirbeln schätzen. Das überdimensionale Neugeborene ist aber keineswegs ein unschuldiges Baby, sondern hat seine erste Beute schon gerissen, bevor es überhaupt geboren wurde.
Shimada und seine Kollegen gehen nämlich davon aus, dass Megalodon-Haie Ovoviviparie betrieben. Das bedeutet, dass Megalodon-Junge ihr Leben in einem Ei begannen, das im Inneren der Mutter ausgebrütet wurde. Der Embryo, der als Erster in der Mutter schlüpfte, fraß wahrscheinlich ihre unbefruchteten Eier und auch die anderen Embryonen im Mutterleib. Heutzutage ist dieser intrauterine Kannibalismus zum Beispiel beim Sandtigerhai bekannt. Meggie hat also wahrscheinlich ihre eigenen Geschwister gefressen, während sie noch im Bauch ihrer Mutter steckte. Dadurch konnte sie zu einer beträchtlichen Größe heranwachsen und schließlich als Riesen-Baby zur Welt kommen.
Meggie im Hai-Kindergarten
Nach Meggies Geburt trennen sich jedoch die Wege von Mutter und Tochter. Meggies Mutter schwimmt zurück ins offene Meer, während das überdimensionale Neugeborene in der Flachwasserzone bleibt. Dort wird es zusammen mit anderen Megalodon-Babys die ersten Jahre seines Lebens verbringen und zu einer stattlichen Größe heranwachsen.
Dass es solche Megalodon-Kinderstuben einst in aller Welt gab, verraten massenhafte Ansammlungen von ungewöhnlich kleinen „Babyzähnen“, zum Beispiel in Panama, Spanien, Maryland und Florida. Catalina Pimiento von der britischen Swansea University und ihre Kollegen gehen davon aus, dass die Megalodon-Jungen in ihren Kinderstuben geschützt vor erwachsenen Tieren heranwachsen konnten. Sie ernährten sich dort wahrscheinlich von Fischen und kleineren Haien.