Aber warum sind Physiker und Chemiker seit den ersten Experimenten so begeistert vom Graphen? Mit nur einer einzigen Schicht von Atomen ist Graphen das dünnste Material der Welt. Eine Schicht, die weniger als ein Atom dick ist, ist nach gegenwärtiger Ansicht unmöglich. Allein damit weckt das Graphen die Neugier vieler Wissenschaftler – es hat dadurch jedoch noch eine Reihe weiterer faszinierender Eigenschaften.
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Hinzu kommt nämlich die besondere Struktur des Kohlenstoffgitters: Graphen lässt sich vereinfacht auch als ein Netz aus zusammenhängenden, sechseckigen Benzolringen beschreiben. Genau wie im Benzol ist auch im Graphen ein Teil der Elektronen in den chemischen Bindungen „delokalisiert“. Das bedeutet, dass sie nicht nur eine Bindung zwischen zwei Atomen bilden, sondern sich im Molekül bewegen können.
Hohe Leitfähigkeit durch einzigartige Struktur
Die Graphenschicht jedoch ist ein einziges großes, flaches Molekül – Elektronen gelangen also frei von einem Ende des Gitters zum nächsten. Dies verleiht dem Graphen eine elektrische Leitfähigkeit, die mit der von Kupferdrähten vergleichbar ist. Gleichzeitig sind leitende Graphenbänder in einer Größenordnung von nur wenigen Nanometern möglich. Elektrische Bauteile und Schaltkreise lassen sich so drastisch miniaturisieren.
Dass die Elektronen sich dabei nur in zwei Dimensionen bewegen können, sorgt für einen faszinierenden Effekt: Die Elektronen verhalten sich, als hätten sie keine Masse. Die Beweglichkeit der Elektronen im Graphen ist 70 Mal höher als im gängigen Halbleitermaterial Silizium. Erst vor kurzem entdeckten Forscher zudem, dass Graphenstreifen Elektronen quasi ohne jeden Widerstand leiten – und das bei Raumtemperatur.
Mit Begeisterung arbeiten Forscher in aller Welt darum an elektronischen Bauteilen aus Graphen. Das dünne Material soll eine größere Anzahl kleinerer Transistoren auf engstem Raum ermöglichen: Computerprozessoren würden dadurch bedeutend leistungsfähiger, manche Wissenschaftler sehen bereits ein Ende der Silizium-Ära. Die Graphen-Entdecker Geim und Novoselov selbst präsentierten als erste einen funktionsfähigen Transistor aus dem Wundermaterial.
Das Beste zweier Welten vereinen
Allerdings gibt es einen großen Nachteil: im Gegensatz zu Silizium ist Graphen kein Halbleiter, sondern ein elektrischer Leiter. In Halbleitern können Elektronen nur bestimmte Energieniveaus annehmen – man spricht von Energiebändern -, andere wiederum nicht. Letztere werden als Energielücken bezeichnet. Doch solche Lücken fehlen im Graphen. Um dem Graphen Halbleitereigenschaften zu verleihen, muss es daher mit anderen Zusatzstoffen versetzt oder modifiziert werden. Darunter leidet jedoch wiederum die hohe Leitfähigkeit. Ziel der gegenwärtigen Forschung ist es also, das Beste zweier Welten miteinander zu vereinen.
Teilweise sind dazu völlig neue Konzepte nötig: Die Forscher um Alexander Balandinan der University of California in Riverside verabschiedeten sich von den üblichen Nullen und Einsen in der elektronischen Informationsverarbeitung. Statt „kein Strom“ oder „fließender Strom“ verwenden sie unterschiedliche Spannungsniveaus in den von ihnen entwickelten Graphen-Transistoren. Damit sind sie nicht mehr auf die Halbleiter-Eigenschaften des Siliziums angewiesen.
Das eigentümliche Verhalten der Elektronen im Graphen erlaubt außerdem große Fortschritte im Bereich der Spintronik: Dabei wird nicht nur die elektrische Ladung, sondern auch die magnetische Eigenschaft des Spins der Elektronen zur Informationsübermittlung genutzt.
Mittlerweile existieren ganze Schaltkreise, Chips und erste Mikroprozessoren auf Graphen-Basis. Diese arbeiten mindestens genauso schnell wie Siliziumprozessoren, aber sie sind deutlich kleiner, erlauben also mehr Rechenkapazität auf demselben Raum wie ihre Silizium-Gegenstücke. Nicht zuletzt hat Graphen neben seinen elektronischen Eigenschaften noch eine Reihe mechanischer Vorteile.
Ansgar Kretschmer
Stand: 16.05.2014