Kaum ein Lebensraum bietet seinen Bewohnern so umweltfeindliche Bedingungen wie das Meereis. Trotzdem haben es nicht wenige Organismen geschafft, dieses unwirtliche Reich für sich zu entdecken und zu besiedeln. Die meisten von ihnen sind niedere Tiere und Pflanzen, die sich an die Bedingungen adaptiert haben.
Ein wichtiger Umweltfaktor im Eis ist die Kälte. Meerwasser gefriert erst bei minus 1,8 Grad Celsius, und in den oberen Eisschichten können die Temperaturen in der kälteren Jahreszeit bis auf minus zehn Grad absinken. Die Eisbewohner sind während der meisten Zeit Minusgraden ausgesetzt. Das größte Problem ist daher, wie sie das Innere ihrer Zellen vor einer zerstörerischen Eisbildung schützen. Bilden sich innerhalb einer Zelle Eiskristalle, können dadurch die Zellmembranen sowie Proteinstrukturen zerstört werden. Dies verhindern viele Eisbewohner dadurch, dass sie eine Art Gefrierschutzmittel bilden. Forscher haben bei einigen eisbewohnenden Kieselalgen herausgefunden, dass ihre Zellen eine 50 mal höhere Konzentration an bestimmten Aminosäuren enthalten, als es normalerweise der Fall ist. Diese Moleküle schützen die Zellstrukturen und fungieren so als Frostschutzmittel. In anderen Organismen übernehmen anorganische Ionen oder Glycerin diese Funktion.
Ein weiteres Problem, mit dem die Eisbewohner fertig werden müssen, ist der Lichtmangel. Gelangt ohnehin schon wenig Strahlung durch die Eisdecke, so wird das Problem durch eine Schneeschicht auf dem Eis noch verstärkt. Die Lichtmenge, die durch eine geschlossene Schneedecke bis an die Unterseite einer Packeisschicht gelangt, kann im Extremfall nur noch ein Zwanzigstel betragen. Besonders die autotrophen Organismen wie die Algen, die ihre Energie zum Leben aus der Photosynthese beziehen, müssen sich daran anpassen, denn ohne Licht können sie die zum Überleben notwendigen Stoffwechselprodukte nicht herstellen. Biologen haben diese Pflanzen untersucht und festgestellt, dass sie schon bei wenig Licht sehr effektiv Photosynthese betreiben. Sie sind soweit an die schlechten Lichtverhältnisse angepasst, dass sie in einer helleren Umgebung nicht mehr Kohlehydrate bilden können. Ihre Photosyntheserate erreicht schon bei wenig Strahlung das Maximum, unter Bedingungen, unter denen andere Pflanzen auf Dauer eingehen würden.
Die härtesten Anforderungen an die Bewohner des Meereises stellt der hohe Salzgehalt. Das Eis selber hat einen geringeren Salzgehalt als das Meerwasser, da es beim Gefrieren aussüßt. Die eisbewohnenden Organismen halten sich aber in den bis wenige Millimeter großen Laugenkanälen auf, wo die Salzkonzentrationen ungleich höher sind. Enthält Meerwasser bis zu 39 Promille Salz, so beträgt der Salzgehalt in den Kanälen bis zu 70 Promille, wenn die Temperaturen sehr niedrig sind, können es auch 150 Promille sein. Die Eisorganismen müssen also bis zu vier mal mehr Salz als im Meerwasser ertragen können. Dazu müssen sie das osmotische Potential ihrer Zellen erhöhen, da sie sonst massiv Wasser verlieren würden.
Osmose ist ein Vorgang, der auftritt, wenn zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Konzentrationen an gelösten Stoffen durch eine halbdurchlässige Membran voneinander getrennt sind. Die Wassermoleküle sind klein genug, um durch die Membran zu passen, die Salzmoleküle aber sind zu groß. Da das Salz die Membran nicht passieren kann, strömt das Wasser in die entgegengesetzte Richtung, um den Konzentrationsunterschied der Salze auszugleichen. Dieser Vorgang findet solange statt, bis die Konzentrationen an gelösten Stoffen auf beiden Seiten gleich sind.
In den Laugenkanälen des Eises ist die Salzkonzentration der umgebenden Flüssigkeit viel größer als die des Zellinneren der Lebewesen, die in der Salzlake schwimmen. Erhöhen diese nicht gleichfalls die Konzentration an gelösten Stoffen beziehungsweise das osmotische Potential in ihren Zellen, würden sie unweigerlich austrocknen, da das Wasser aus den Zellen nach außen strömen würde. Durch welche Mechanismen es diese Organismen aber fertig bringen, in dieser Salzlauge zu überleben, das ist bisher weitgehend unbekannt.
Stand: 27.12.2000